Karma-Attacke (German Edition)
der Truppe. Sie zählte zu den Besten ihres Jahrgangs und hatte sich noch nie einen Fehler erlaubt. Sie sprach klares, akzentfreies Hochdeutsch. Als van Ecken auftauchte, begann sie noch einmal von vorn, ganz so, als wäre die Staatsanwältin unwichtig.
«Sie haben um ständigen Bericht gebeten. Ich habe Ihnen hier eine Videokassette mitgebracht.»
Van Ecken winkte ab. «Keine Videos mehr. Sagen Sie mir, was drauf ist. Was tun die beiden? Hat einer von ihnen telefoniert?»
Gudrun May schüttelte den Kopf. «Wir haben dem Jungen seinen Gürtel und die Schuhe abgenommen. Nun sitzt er in Socken da, starrt vor sich hin und malt Zeichen in die Luft oder auf sein Bein.»
«Zeichen? Was für Zeichen? Kann man die entziffern?»
«Ich glaube kaum. Schließlich sind sie nicht auf Papier, sondern …»
Sofort hatte van Eckens Ton wieder die allseits gefürchtete Schärfe: «Vielleicht ist es Blindensprache oder so was. Wir haben Leute, die sich damit auskennen. Setzen Sie Spezialisten darauf an. Ich will noch heute ein Ergebnis. Bringen Sie mir Informationen, egal wie. Lassen Sie sich was einfallen. - Und was macht unsere Putzfrau?»
May wirkte etwas verlegen. Sie sah erst zu van Ecken, dann zu Marion Benthin und antwortete in Benthins Richtung: «Sie masturbiert.»
Als hätte sie nicht recht verstanden, fragte Staatsanwältin Benthin: «Bitte?»
«Ja, was soll ich Ihnen sonst sagen? Das Band ist voll damit. Sie hat sich hingelegt und bis zum Hals zugedeckt, macht an sich herum und stöhnt das ganze Haus zusammen.»
Van Ecken nahm May beiseite. «Halten Sie mich auf dem Laufenden; melden Sie sich, sobald irgendetwas von Bedeutung geschieht. Sie sind persönlich dafür verantwortlich, dass …»
«Ich weiß.»
Van Ecken wollte sich jetzt mit Staatsanwältin Benthin und der Zablonski ein paar Videoausschnitte anschauen und sie nach ihrer Meinung fragen. Über Professor Ullrich, Vivien und Kommissar Ackers. Zum ersten Mal war es ihm wirklich wichtig, dass Frau Benthin dabei war. Er hatte ein schlechtes Gefühl dabei, der Zablonski allein, oder nur mit diesem Wust an seiner Seite, gegenüberzutreten. Von der Frau ging etwas aus, das ihm Angst machte. Er wollte nicht enden wie Ackers oder Professor Ullrich. Sie machte Männer wirr im Kopf. Er fragte sich gerade, ob das seine eigenen Gedanken waren oder ob sich hier wieder seine Übermutter einschaltete, da sagte Marion Benthin: «Ich weiß nicht, was Sie als Nächstes planen, aber ich kann nicht mehr. Ich bin gar gekocht. Ich brauche eine Pause.»
«Das verstehe ich», sagte er, «aber bitte lassen Sie mich gerade jetzt nicht im Stich. Nur noch das Gespräch mit der Zablonski, und dann können Sie meinetwegen vierundzwanzig Stunden schlafen.»
Dass er sie bat, rührte sie, und sogleich erlag sie dem Drang, ihn nicht zu enttäuschen.
66
Marga Vollmers wand sich unter der kratzenden Decke, als wäre es Satin. Sie hatte beide Hände zwischen den Beinen. Sie war angeschwollen und wund, und sie wusste nicht mehr, ob sie vor Schmerzen stöhnte oder vor Lust. Es war, als müsste sie Versäumtes aus Jahrzehnten nachholen. Endlich schämte sie sich nicht mehr für ihren Körper. Es interessierte sie nicht, was die Leute dachten. Professor Ullrich hatte etwas in ihr gelöst, das die ganze Zeit verborgen gewesen war. Sie war vor sich selbst weggelaufen aus Angst, so zu werden, wie sie jetzt war. Triebhaft, ohne jede Vernunft und Einsicht in die Forderungen der Welt. Sie wollte zu ihm.
Seit gut einer halben Stunde war sie nicht mehr allein, doch erst als die Zellengenossin sie berührte und ihr ein Glas Wasser anbot, öffnete Marga die Augen. Die Frau hatte lange, schwarze Haare, ein schmales Gesicht, dunkle Augen und einen leichten russischen Akzent.
«Ich hoffe, ich störe Sie nicht. Mein Name ist Natascha Gaidujew. Sie behaupten, ich hätte meinen Mann erschossen. Aber ich war es nicht. Als ich nach Hause kam, lag er schon tot da…»
Marga richtete sich auf und taxierte die junge Frau. Die wog nicht halb so viel wie sie. Ihre dünnen Finger zitterten ein wenig. Sie war braun gebrannt. Links trug sie einen kleinen Diamantring und ein schmales Goldarmband.
«Soso, Natascha Gaidujew. War dein Ehemann ein Kotzbrocken?»
Natascha schreckte ein wenig zurück. «Warum fragen Sie mich das? Nein. Er war ein guter Mann. Ich habe ihn geliebt.»
«So, und warum trägst du dann keinen Ehering?»
Aus Nataschas Gesicht wich das Blut. «Ich hab ihn abgenommen. Ich hab ihn an
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