Karma-Attacke (German Edition)
Sie, ich weiß nicht, was hier läuft?», fragte er. Ein Kribbeln lief durch seinen Körper, als ihn der Blick des Professors traf.
Frau Dr.Sabrina Schumann wich zurück.
Schneider hielt die Zigarette wippend zwischen den Lippen. Mit beiden Händen tastete er seine Taschen nach Feuer ab, fand aber nichts. Er gab auf, nahm die Zigarette aus dem Mund und zeigte mit dem Filter auf Professor Ullrich. «Ich will meine Tochter. Sie können mir das nicht verbieten.» Seine Stimme überschlug sich, wodurch seine Drohungen etwas Hysterisches bekamen. «Ich habe Erkundigungen über Sie eingezogen. Ich kann den Laden hier hochgehen lassen! Dieser ganze Mist mit der Seelenwanderung und den früheren Leben, dieses ganze Sektenzeug, das …»
Scharf wie mit einer Klinge durchschnitt die Stimme des Professors den Redefluss: «Mit Sekten habe ich nichts zu tun.»
«Nein? Dann gehören Sie eben selbst in eine Zwangsjacke! Wenn Vivien aussagt, was Sie hier mit ihr gemacht haben, sind Sie die längste Zeit Chefarzt gewesen. Oder wie immer Sie sich schimpfen!»
Er wirbelte herum und zeigte auf Frau Dr.Schumann. Sie war unter ihrem Make-up leichenblass geworden. Ihre Unterlippe zitterte.
«Und Sie», keifte Schneider, «Sie sind Ihren Job auch los! So! Jetzt will ich meine Tochter sehen.»
Professor Ullrich warf Frau Dr.Sabrina Schumann einen Blick zu. Sie nickte resigniert und ließ die Schultern sinken. Damit wich die Spannung aus ihrem Körper. Trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, an einem Abgrund zu stehen und das Gleichgewicht zu verlieren.
3
Vivien schraubte den Füller zusammen und las die Sätze noch einmal.
Gegen Abend ging die dritte Sonne im Sprühwald unter.
Feuchte Kälte kroch in die Schlucht.
Mit ihr kamen die Congas.
Sie saß zusammengekauert auf dem Stuhl, die Beine ganz am Körper. Fröstelnd rieb sie sich die Oberarme und starrte aufs Papier. Die Sätze rochen nach den dicken Schlangen. Aus den Mäulern der Congas stieg ein fauliger, modriger Gestank. Vivien riss die Seite aus dem Buch und zerknüllte sie. Die Riesenschlangen kamen immer nur nachts. Sie fürchteten das Feuer und das Licht. Die kleine Schreibtischlampe aber konnte sie nicht schrecken.
Vivien stieg auf den Stuhl und sprang von dort aufs Bett. Sie versuchte, den Lichtschalter zu erreichen, ohne auf den Boden zu treten. Die Congas waren Meister der Tarnung. Sie versteckten sich im Teppichboden so gut wie im Schilf.
Das Wasser fiel im Sprühwald aus den Spitzen der Bäume. Mit einem schlürfenden Geräusch saugten die hölzernen Riesen durch ihre Wurzeln die Feuchtigkeit aus dem Boden und pressten sie durch ihre Adern hoch in die fleischigen Blätter. Dort wurden sie in dicken Tropfen ausgeschwitzt. Vivien versuchte, ihnen auszuweichen, denn manche dieser Tropfen brachten das Fieber. Wo sie auf die Haut trafen, wurde alles wund. Vivien lauschte. Die Congas mussten hier sein. Sosehr sie den Arm auch reckte, sie erreichte den Lichtschalter nicht. Sie musste es wagen, den Boden einmal kurz zu berühren. Die Neonröhren an der Decke waren die Rettung. Die Congas hatten Angst davor.
Da glitschte etwas an der Wand herunter. Vivien kreischte. Die Congas waren mit dem Nebel aufgestiegen. Sie hatten den Boden verlassen und zogen ihre schleimigen Spuren jetzt in den Baumkronen. Wenn die Congas in den Wipfeln die Vogeleier raubten, dauerte die Dunkelheit ewig. Die drei Sonnen mussten gestorben sein. Nur ihre Wiedergeburt konnte die Congas vertreiben. Die Monde am Himmel strahlten nicht hell genug.
Vivien hechtete vom Bett. Sie schlug mit der Faust gegen den Lichtschalter und rettete sich mit einem einzigen Sprung unter das Bett. Die sichere, enge Höhle. Hinter sich den Berg. Vor sich den hellen Eingang. Hier hatte sie Schokolade gebunkert, um einen langen Winter zu überstehen. Hoffnungsvoll starrte sie mit weit aufgerissenen Augen in das Licht. Die Sonnen würden die Congas austrocknen. Sie mussten zurück in die Sümpfe.
Männer traten vor Viviens Höhle. Sie schauten zu ihr herein.
«Congas!», kreischte Vivien. «Congas!»
Sie erkannte Professor Ullrich. Sie sah, dass sein Mund sich bewegte. Aber da waren noch ein Mann und eine Frau. Sie standen inmitten der Schlangenbrut.
«Congas!», schrie Vivien wieder. «Congas! Ganz viele! Passt auf!»
Richard Schneider wollte seine Tochter unter dem Bett hervorziehen, ihr zeigen, dass dort nichts war. Vivien schnappte nach seiner Hand. Sie erwischte seinen Hemdsärmel und warf den Kopf nach links
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