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Karneval der Alligatoren

Karneval der Alligatoren

Titel: Karneval der Alligatoren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James G. Ballard
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dem ernähren, was ihnen das Land bot, und ihre Menüs auf Holzsuppe und
Leguansteaks umstellen.
    Das Treibstoffproblem war noch
ernster. Im Ritz lagerte gerade noch genug Dieselöl, um die Kühlanlage zwei
Monate in Gang zu halten. Wenn er sich nur noch in der Diele aufhielt und auch
dort schlief und die Temperatur auf über dreißig hielt, konnte er diese Zeit
vielleicht verdoppeln; waren die Vorräte einmal zu Ende gegangen, so gab es
kaum Hoffnung auf Nachschub. Die Reservetanks in den Häusern um die Lagune
waren längst von den Flüchtlingen in Motorbooten und Jachten, die in den
letzten dreißig Jahren vorbeigezogen waren, leergezapft worden. Im Tank seines
Katamarans waren nur wenige Liter; es reichte gerade für fünfzig Kilometer, um
einen Monat lang täglich eine Fahrt zu Bea und zurück zu unternehmen.
    Merkwürdigerweise kamen jedoch Kerans
bei dem Gedanken an dieses umgekehrte Robinson-Crusoe-Dasein, an das
freiwillige Zurückbleiben ohne Geräte und Vorräte in einem griffbereit am
nächsten Felsen hängenden Wrack, keinerlei Ängste. Beim Weggehen ließ er den
Thermostat wie stets auf etwas über 20 Grad eingestellt, obwohl dadurch unnötig
viel Dieselöl verbraucht wurde – er wollte einfach nicht einmal diese
Konzession an die Schrecken machen, die ihn nach Riggs Abzug erwarteten; zuerst
redete er sich ein, es sei nur ein Zeichen seines noch unterbewußten
Entschlusses, doch die Vernunft siegen zu lassen; als er jedoch den
Außenbordmotor startete und den Katamaran durch den Verbindungskanal zur
nächsten Lagune steuerte, wurde ihm klar, daß diese Indifferenz sogar ein
deutliches Anzeichen seines Entschlusses war, doch dazubleiben. In Bodkins
Symbolsprache hieß das, daß er dann die konventionelle Zeiteinteilung in bezug
auf seine körperlichen Bedürfnisse aufgeben und eine Welt der totalen,
neuronischen Zeit betreten würde, in der die riesigen Intervalle der
geologischen Spannen sein Leben bestimmten. Da war eine Million Jahre die
kürzeste Zeiteinheit, und Fragen der Kleidung und Nahrung wurden so unwichtig
wie für einen buddhistischen Weisen, der im Schatten der millionenköpfigen
Kobra der Ewigkeit vor seiner leeren Reisschale hockt. Als er in die dritte
Lagune einfuhr, mußte er mit einem Ruder meterlange Schachtelhalmblätter
abwehren. Er bemerkte ohne sonderliche Anteilnahme Macready und dessen Leute,
die die Teststation langsam zum Hauptquartier zogen. Während sich der Abstand
zwischen den beiden Meter um Meter verringerte, stand Kerans stumm unter dem
tropfenden Blätterdach, ein Beobachter in den Kulissen, dessen Beitrag zum
Schauspiel auf der Bühne nun zu Ende war.
    Um keine Aufmerksamkeit zu erregen,
schob er das Boot vom Ufer und paddelte dann langsam am Lagunenrand entlang zu
Beatrices Apartmenthaus. Gelegentlich dröhnte der Hubschrauber über das Wasser;
die von der Teststation verursachten Wellen schlugen gegen den Katamaran; sie
setzten sich dann zum Ufer hin fort, bis in die offenen Fenster der
halbversunkenen Gebäude, und klatschten dort gegen die inneren Wände. Beatrices
Motorjacht knirschte in ihrer Verankerung. Der Maschinenraum war überflutet,
und die zwei großen Chryslermotoren im Heck drückten das Achterdeck bis unter die
Wasserfläche. Bald würde ein Thermalsturm das Schiff losreißen und weiter
drinnen in einer der ertrunkenen Straßen festlegen.
    Als er den Lift verließ, lag der
Innenhof um das Schwimmbecken verlassen da, die Gläser vom Abend vorher standen
noch auf dem Tablett zwischen den Liegestühlen. Das Sonnenlicht fiel bereits
aufs Becken, die gelben Seepferdchen und blauen Dreizacks, mit denen der Boden
geschmückt war, leuchteten hell auf. Ein paar Fledermäuse hockten hinten im
Schatten unter der Regenrinne über Beatrices Schlafzimmer; als Kerans sich
setzte, flogen sie weg.
    Kerans konnte Beatrice von draußen
beobachten. Sie wirkte müde und abgespannt und begrüßte ihn nur mit einem
schwachen Winken. Sie stützte einen Ellenbogen auf die Bar, mixte sich einen
Drink, starrte geistesabwesend auf einen der Delvaux und verschwand in ihrem
Schlafzimmer.
    Als sie nicht mehr zurückkam, ging
Kerans ihr nach. An der Tür der Diele schlug ihm warme Luft wie Rauch entgegen.
Der Thermostat hatte mehrere Male nicht funktioniert, und die Temperatur war
jetzt bestimmt über dreißig Grad. Kein Wunder, daß Beatrice so lethargisch
wirkte.
    Sie saß auf ihrem Bett, das
Whiskyglas auf den runden Knien. Die heiße Luft erinnerte Kerans an das
Experiment

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