Karneval der Toten
Luft.
»Was hättest du denen sagen können?«
»Wo er wohnt.«
Melrose seufzte. Er könnte noch bis morgen Früh hier stehen und dieser Fantasiegeschichte lauschen. »Na, solange er sich nicht in meinem Cottage einnistet, ist es mir egal.«
Sie wand sich die Schnur wieder um den Finger. »Der wohnt an verschiedenen Orten. Manchmal in London und manchmal hier und manchmal in...« Sie überlegte. »... in Schottland. Und manchmal in...«
»Tut mir Leid, aber ich kann diesem Kinderdieb jetzt nicht auf seinen Streifzügen folgen. Ich muss ins Haus, wenn Mr. Scott auf mich wartet. Gehen wir doch zusammen. Deine Tante wartet wahrscheinlich in der Küche auf dich, stimmt’s?«
Die Frage blieb zwar unbeantwortet, doch stapfte Lulu mit in Richtung Haus. »Passen Sie bloß auf«, sagte sie.
»Wegen was?«
»Wegen wem, wollen Sie wohl sagen.«
Es hörte sich an, als brütete sie die Hexenjagd von Salem im Kopf aus. »Nein, mich kümmert das nicht. Du bist doch die mit den ganzen Ideen.«
Das überging sie geflissentlich. »Da drin ist eine Frau, die Sie nicht kennen.« Inzwischen ließ sie auf der Hand etwas auf und ab hüpfen, was wie ein Knopf aussah.
»Was für eine Frau?«
Lulu bedachte ihn mit einem Blick, der sonst Idioten und Kleinkindern vorbehalten war. »Die da drin -«
Ihr Zeigefinger erinnerte Melrose an Marleys Geist.
»- bei Mr. Scott. Sie heißt Patricia.«
»Du kennst dich ja bestens aus hier. Spionierst du etwa herum und horchst an Türen und guckst durch Schlüssellöcher?«
Die Frage ignorierte sie, während sie zum Innenhof hinübergingen. »Vielen Dank für die Informationen. Unser kurzes Gespräch war mir ein Vergnügen. Gehst du jetzt in die Küche?«
Sie nickte und rannte in die ungefähre Richtung davon.
Merkwürdiges Kind! Er wurde nicht recht schlau aus ihr. Durch den achteckigen Raum ging er zur Bibliothek hinüber.
Das, dachte Melrose, sieht ja schon besser aus! Als Declan Scott ihn mit Patricia Quint bekannt machte, stellte Melrose rasch einen Vergleich zwischen Ms. Quint und Hermione Hobbs an. Patricia Quint war jedoch nicht der einzige Gast in der Bibliothek. Marc Warburton war ebenfalls dort, wie Patricia mit einem Drink in der Hand.
Melrose überlegte – ein schamlos chauvinistisches Gedankenspiel -, ob sie nun zu Declan gehörte oder zu Marc. Oder vielleicht zu irgendeinem anderen Ehemann. Kaum vorstellbar, dass eine Frau, die aussah wie Patricia Quint, keinen Mann im Hintergrund lauern hatte, wenn nicht sogar im Vordergrund, gleich hier vor dem Kaminfeuer.
Sie streckte ihre schmale weiße Hand aus, um die von Melrose zu schütteln. »Ich habe noch nie einen Experten für Rasenplaggen und Cloisonnégärtchen kennen gelernt. Wenn Sie hier fertig sind, könnten Sie dann vielleicht zu mir kommen?«
Melrose deutete eine knappe Verbeugung an. »Mit Vergnügen. Was für Probleme haben Sie denn?«
Patricia lachte. »Bei mir wächst einfach nichts.«
»Das stellt in der Tat ein Hindernis dar.«
In ihrem cremefarbenen Kostüm wirkte Pat Quint wie aus dem Ei gepellt. Zugegeben, man sah ihr an, dass sie wohl betucht war, doch es war die Klarheit von Teint und Augen, die Präzision des perfekt sitzenden Kostüms, der perfekt geschnittenen Frisur, die ihr dieses wie aus dem Ei gepellte Aussehen verliehen. Die glänzenden Lippen, die zart geröteten Wangen – das alles hätte auch »künstlich« anmuten können. Und obwohl sich Kunstfertigkeit in jeder Wimper, in jeder seidigen Augenbraue offenbarte, wirkte sie dennoch nicht aufgesetzt. Seltsam, dachte er, dass es ihr gelang, diesen Effekt zu vermeiden.
Während dieses Gesprächs über Melrose’ Spezialgebiet lächelte Marc Warburton (wenngleich nicht besonders herzlich) und fügte hinzu: »Ich kann mir nicht denken, dass einen die Beschäftigung mit Rasenplaggen zeitlich sehr in Anspruch nimmt?«
»Nein, im Grunde eigentlich erst, wenn man tot ist«, entgegnete Melrose.
Das fanden alle witzig, vor allem Pat Quint.
Warburton ließ jedoch nicht locker. »Sie sind wegen einer bestimmten Sorte von Dünger nach St. Austell gefahren? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie dort etwas finden, was Sie in Macmillans eigener Gärtnerei nicht auch bekommen könnten.«
»Vielleicht. Die Mixtur ist eigentlich recht einfach, ein bis zwei Ingredienzen mische ich aber doch noch hinein, die nur dieses Geschäft in St. Austell führt.«
Warburton runzelte die Stirn. »Ach ja? Was denn?«
Melrose lächelte. »Selbst beim Dünger hat jeder
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