Karparthianer 02 Dunkle Macht des Herzens
seine Antwort.
»Schöne Frauen, meine Kleine, und ich war es, der dich schließlich gefunden hat.« Seine weißen Zähne blitzten sie an.
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»Damit lasse ich mich nicht abspeisen.« Shea hatte ihre Fähigkeit genutzt, in seine Gedanken einzudringen und Bilder von Gefahr und Gräueln erhascht, sogar von Furcht. Nicht so sehr vor dem Feind als vielmehr davor, zu dem zu werden, was sie zerstören wollten.
Jacques, der nicht darauf vorbereitet gewesen war, dass sie an sein Denken rühren würde, war überzeugt gewesen, er könnte die Schattenseiten ihrer Existenz vor ihr verheimlichen. Da Shea nur selten in sein Bewusstsein eindrang, war er gar nicht auf die Idee gekommen, sie könnte es ganz spontan machen.
Sein Gesichtsausdruck war so zerknirscht, dass Shea in Gelächter ausbrach. »Wo ich herkomme, nennt man das, mit heruntergelassenen Hosen erwischt zu werden.«
Er schaute an sich herunter und grinste.
»Wortwörtlich.«
»Und wo ist Aidan jetzt? Ist er getötet worden?«
Jacques Gedächtnis sträubte sich, die Information preiszugeben. Immer wieder musste er die Teile des Puzzles durchgehen, um eine Antwort zu finden. Weil es ihm offensichtlich Schmerzen bereitete, strich Shea liebevoll über seinen Arm. »Lass es lieber sein.«
»Die Vereinigten Staaten. Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, dass er und seine Leute in die Staaten gegangen sind, um sich mit dem Vampirproblem dort zu befassen. Die Vampire bleiben nicht länger hier in den Bergen, wo ihre Spur leicht verfolgt werden kann. Falls Aidan noch lebt und sich nicht der dunklen Seite zugewendet hat«, er runzelte angesichts dieser Möglichkeit die Stirn, »dann muss er noch dort sein, weit weg von unserem Land.«
»Wen meinst du mit >seinen< Leuten? Eine Gefährtin?
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Ein Kind?«
»Soweit ich weiß, hat er keine Gefährtin. Da er fast so alt wie Gregori und Mikhail ist, wird die Gefahr für ihn ständig größer. Je älter ein Karpatianer ist, desto schwerer fällt es ihm, sich im Griff zu haben.«
»Dann ist Gregori auch eine Gefahr.« Bei dem Gedanken lief es Shea kalt den Rücken hinunter.
»Gregori ist die größte Gefahr von allen, und Aidan ist nicht weit von ihm entfernt. Aber Aidan hat so etwas wie eine Familie, Mensehen, die ihm seit Jahrhunderten treu dienen, eine Generation nach der anderen. Aidan hat ihnen im Lauf der Zeit ein Vermögen gegeben, aber sie bleiben trotzdem bei ihm. Er ist der einzige Karpatianer, von dem ich weiß, dass er so eine Familie hat.«
Ein Blitz zerriss den Nachthimmel, ihm folgte unmittelbar ein ohrenbetäubender Donner. Shea erstarrte, und das Lächeln auf ihren Lippen und in ihren Augen verblasste. Ihre offene Handfläche legte sich auf Jacques' Brust, als wollte sie ihn von sich wegschieben.
Auf einmal waren der freundliche Wald und der wilde Sturm kein Spielplatz der Sinne mehr, sondern ein finsterer, bedrohlicher Ort.
Shea sprang auf und sah sich nach allen Richtungen um. Jacques erhob sich mit geschmeidiger Anmut und legte schützend einen Arm um ihre Taille.
»Was ist los?« Er überprüfte sofort die Umgebung und stellte sich dabei vor Shea, um sie vor jeder Bedrohung zu beschützen. Er fand nichts, was ihn beunruhigt hätte, aber Shea schien wirklich in Panik zu geraten.
Sie trat einen Schritt von ihm weg und forschte mit den Augen ängstlich in dem Wald, der sie umgab. Hastig griff sie nach ihrem Hemd und hielt es sich schützend 319
vor.
»Die anderen sind weit weg«, sagte Jacques, stellte sich aber trotzdem wieder direkt vor sie, um sie vor dem unsichtbaren Feind zu beschützen.
»Irgendetwas ist da draußen, Jacques, etwas Böses, das uns beobachtet.« Sie zog hastig ihr Hemd über den Kopf.
»Ich weiß es. Ich weiß so etwas immer. Lass uns schnell von hier verschwinden!«
Jacques wartete, bis sie in ihre Jeans geschlüpft war, bevor er seine eigenen anzog. Alle seine Sinne konzentrierten sich auf seine Umgebung und forschten nach einem Hinweis, der Sheas Furcht bestätigen könnte.
Er konnte nichts entdecken, aber ihre Unruhe fing an, auf ihn überzugehen. Jacques spürte, dass sich sein Nackenhaar sträubte wie bei einem Wolf, der zum Angriff bereit ist. »Beschreibe mir, was du fühlst. Lass mich ganz und gar in dein Bewusstsein.« Es war ein eindeutiger Befehl.
Shea gehorchte, ohne zu überlegen. Etwas Dunkles und Bösartiges, etwas, das weder Mensch noch Karpatianer war, verbarg sich im Sturm, belauerte sie aus roten Wolfsaugen und beobachtete sie hasserfüllt.
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