Karpatenfürst - Landers, K: Karpatenfürst
Wenn sie ihn zurückließe, käme ihr das wie Verrat vor. Ohne ihn durfte sie nicht fliehen. Als sie sich umdrehte, prallte sie zu ihrem Entsetzen gegen Valerji, der mit verschränkten Armen vor der Brust und strenger Miene auf sie herabsah. In diesem Augenblick schien es, als würde ihr Herz aussetzen und das Blut in ihre Füße sacken. Ihre Flucht war früher beendet als befürchtet. Wie konnte sie nur so dumm sein, auch nur einen Moment lang zu denken, sie könnte ihn täuschen? Lernte sie denn gar nicht dazu? Wo war die wachsame Dcera geblieben, die sie einst gewesen war? Ihr Spürsinn? Ihr inneres Auge? Was war nur mit ihr los? Das war nicht mehr die Daniela, die Prag verlassen hatte, um sich an Drazice zu rächen. Die Schnelligkeit des Fürsten war beeindruckend und überraschte sie immer wieder aufs Neue.
Sie hätte vor Enttäuschung schreien können. Stattdessen blickte sie ihn herausfordernd an. Was mochte in ihm vorgehen? Darüber nachzudenken, verblieb ihr keine Zeit, wenn sie fliehen wollte. Aber was wäre mit dem Blutdiamanten? Sie konnte ihn nicht zurücklassen. Daniela fühlte sich hin- und hergerissen zwischen ihrem Wunsch, zu fliehen und der Aufgabe, den Blutdiamanten zu holen.
„Ich sagte doch, dass es zwecklos ist“, sagte er und schüttelte den Kopf. War es das wirklich? Sollten all ihre Bemühungen umsonst gewesen sein? Daniela fühlte sich miserabel, weil sie kapitulieren musste. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als hierzubleiben, denn den Blutdiamanten konnte sie unmöglich in seiner Obhut lassen. Aber sie durfte ihm auf keinen Fall zeigen, dass sie davon wusste und vor allem, welche Bedeutung er für sie besaß. Also musste sie das Fluchtspiel fortsetzen, um seinen Argwohn nicht zu wecken. Sie war so niedergeschlagen, dass sie fast in Tränen ausgebrochen wäre, und wagte nicht, ihn anzusehen.
Als er einen Arm nach ihr ausstreckte, duckte sie sich unter ihm hindurch und rannte die Treppe hinunter. Hoffnungslosigkeit erfüllte sie und ließ ihre Kräfte erlahmen. Valerij packte ihren Oberarm und hielt sie zurück. Sie starrte auf seine Hand, unter der ihre Haut prickelte. Eine angenehme Wärme breitete sich in ihrem Körper aus. Unvermutet umschlang er sie, und ehe sie begriff, befanden sie sich wieder im Schlafgemach. Er warf sie aufs Bett und sah wütend auf sie herab. Seine Nasenflügel blähten sich bei jedem Atemzug.
„War ich nicht deutlich genug?“, herrschte er sie an.
Daniela blinzelte die aufsteigenden Tränen fort. Er hatte gewonnen, weil ihr Plan nicht durchdacht gewesen war, und sie ihn unterschätzt hatte. Aber irgendwann, wenn sie nur fest daran glaubte, würde die Stunde ihrer Flucht kommen, zusammen mit dem Blutdiamanten. Sie durfte nicht aufgeben. Die Hoffnung war das Einzige, was sie aufrechterhielt, ihm und seiner düsteren Faszination zu entkommen.
Ich sagte Euch doch, Ihr könnt mich hier nicht festhalten. Ich werde nie aufgeben, zu fliehen.“
Zuerst sah es aus, als wollte er etwas erwidern, doch dann drehte er sich um und verließ schweigend den Raum. Mit einem Knall fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. Sie war gefangen wie ein Vogel in einem schwarzen Käfig. Rabenschwarz wie die Seele dieses Vampirs.
Daniela warf sich schluchzend in die Kissen. Sie hatte eine gute Gelegenheit verpatzt und bereute es bitter. Wann würde sich eine nächste bieten? Vielleicht war sie gezwungen, wochen-, gar monatelang zu warten, immer den eigenen Tod vor Augen. Und wie lange würde sie ihre Gefühle im Zaum halten können, die jedes Mal mit ihr durchgingen, wenn er sie berührte?
Sie weinte lautlos, bis sie irgendwann erschöpft einschlief.
20.
Daniela wusste nicht, ob es Tag oder Nacht war. Wie lange mochte sie geschlafen haben? Sie fühlte sich völlig zerschlagen. Irgendjemand hatte ihr ein Tablett mit Brot und Milch ins Zimmer gestellt und neue Kerzen angezündet. Anscheinend hatte sie lange geschlafen und das Frühstück verpasst. Ihr Magen knurrte. Sie sprang aus dem Bett und verschlang gierig das Essen. Plötzlich hörte sie eilige Schritte auf dem Flur, Türenschlagen, dann Stille. Wenig später vernahm sie flüsternde Stimmen und dann folgte Gekicher. Waren das Dienstboten? Neugierig lief sie auf Zehenspitzen zur Tür und drückte vorsichtig die Klinke hinunter. Sie war erstaunt, denn die Tür war wider Erwarten nicht abgeschlossen. Das wirkte geradezu wie eine Einladung zur Flucht. Ihr Herz hüpfte vor Freude in der Brust. Daniela öffnete die Tür nur so
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