Karpfen, Glees und Gift im Bauch
Handelskette einen neuen Supermarkt, direkt an der Huqingping Gong Lu . Man suchte händeringend einen Leiter der Getränkeabteilung. Am besten einen Europäer vom Fach, der zahlungskräftige, ausländische Kunden intensiv beraten konnte, wenn sie ihre Rotwein- und Whiskey-Bestände nachfüllten.
Toni Wellein reichte eine Bewerbung ein, die von vorne bis hinten erlogen war. Er schreckte nicht davor zurück, sich in seinen Referenzen den Titel eines Diplom-Kaufmannes zu geben, sowie ein einjähriges Praxisseminar bei der spanischen Kaufhauskette El Corte Inglés in Madrid anzugeben. Natürlich hatte er keine schriftlichen Nachweise dabei. Wie sollte er auch? Er hatte ja nicht vorgehabt, in Schanghai zu bleiben. Der Personalchef von Carrefour hatte Not. Er akzeptierte, dass die fehlenden Bewerbungsunterlagen nachgereicht werden würden. Toni hatte den Job. Vorläufig. Er mietete sich im nahen Compound »Lake Side Ville«, Haus Nummer 181, mit zweihundertsechzig Quadratmetern Wohnfläche ein. Der neue Arbeitgeber Carrefour übernahm einen entsprechend hohen Mietkostenzuschuss.
Die kleine süße Maus Lin Sang, siebzehn Jahre jünger als Toni, fand sehr schnell Gefallen an dem kräftigen, gut aussehenden deutschen Abteilungsleiter. Sie arbeitete ebenfalls bei Carrefour. Ebenfalls im ersten Stockwerk, in der Lebensmittelabteilung, wo sie in einem knappen Kostümchen für Fertigsuppen warb. Die giftgrünen Shorts offenbarten ihre langen, schlanken, wohlgeformten Beine. Das goldfarbene und enganliegende Oberteil war sehr sexy geschnitten und ließ mehr erahnen, als es versteckte. Mit einer Körpergröße von einen Meter siebenundsechzig und bei fünfundfünfzig Kilo Lebendgewicht hatte Lin Sang eine tolle Figur. Ihr attraktives Gesicht war von einer wilden Mähne pechschwarzer Haare umrahmt. Außerdem sprach sie ein recht passables Englisch, welches ihr ihr letzter Freund Fred Mc Kintosh beibrachte, bevor er Knall auf Fall nach Sheffield zurückkehrte, um der Geburt seiner dritten Tochter beizuwohnen. Lin Sang nahm sich vor, dieses Mal klüger zu sein. Sie hatte sich bereits erkundigt: Der attraktive Deutsche war ledig und hatte keine Freundin. Sie nahm sich vor, diesen Zustand zu ändern.
Drei Monate später zog sie mit Sack und Pack im Haus Nummer 181 in Lake Side Ville ein. Als Erstes stellte Lin Sang eine Putzfrau ein, eine »Ayi«. Zu attraktiv sollte die Haushaltshilfe nicht sein. Hauptsache, sie konnte putzen, waschen, bügeln, kochen und einkaufen. Ihre Wahl fiel auf eine achtundvierzigjährige Chinesin vom Land, die kein Wort Englisch sprach und vorne flach war wie ein Brett. Als weitere Besonderheiten zeichnete sie ein Glasauge und extreme O-Beine aus. Dann sorgte Lin Sang dafür, dass sich der fünftürige Schlafzimmerschrank mit Damenoberbekleidung und Damenpumps füllte. Sie war zufrieden mit ihrem neuen Leben. Toni war es auch. Lin Sang hatte niemals Migräne, Schwindel oder ein sonstiges, typisches Frauenleiden. Sein Job machte ihm ebenfalls Spaß, war nicht allzu anstrengend und das Schönste dabei war: Zuhause in Lake Side Ville gingen die Vorräte an Spirituosen und an spanischen, französischen und italienischen Rotweinen niemals aus. Dafür sorgte er persönlich. Bis man ihn erwischte.
Die Feten und Partys, die in Lake Side Ville abliefen, waren in den einschlägigen Kreisen bald bekannt. Auf einer dieser Partys lernte Toni den chinesischen Geschäftsmann Tang Kelin kennen. Tang Kelin war der Ehemann einer Freundin von Lin Sang. Seines Zeichens General Manager der China National Petroleum Corporation (CNPC), einem Staatsunternehmen, das in der Stadt Jilin eine Chemiefabrik betrieb. Tang Kelin hatte im fünfunddreißigsten Stockwerk des Shanghai World Financial Center ein luxuriöses Büro eingerichtet. Er und Toni Wellein verstanden sich auf Anhieb. Beide hatten ein Faible für nicht ganz legale Geschäfte, wenn denn die Risiken überschaubar waren und sich damit genug Geld verdienen ließ. Toni hatte das chinesische Geschäftssystem sehr schnell verstanden: Es ist immer von Vorteil, jemanden zu kennen, der jemanden mit guten Beziehungen kennt. Eine Hand wäscht die andere. »Relationship« oder »guanxi«, wie es die Chinesen nannten, waren das A und O jeglichen Geschäftserfolgs.
Genau achtzehn Monate und zwölf Arbeitstage, nachdem Toni seinen Job bei Carrefour angetreten hatte, wurde er bei einer Kontrolle erwischt. Im Kofferraum seines VW Passat fanden die Angestellten des Sicherheitsdienstes
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