Karpfen, Glees und Gift im Bauch
Explosion, den schmutzigen Himmel. Rohrleitungsstücke, Stahlverkleidungen und Maschinenteile flogen wie Schrapnellen gefährlich sirrend durch die Luft. Die Arbeiter warfen sich reaktionsschnell auf den Boden und suchten hinter Gebäudeecken und parkenden Fahrzeugen Schutz. Im gewaltigen Bauch eines mit Flugrost übersäten Kessels gähnte ein großes Loch. Annähernd hundert Tonnen krebserregendes Benzol und Nitrobenzol freuten sich über die gewonnene Freiheit, flossen auf direktem Weg in den nahen Songhua Jiangund vermischten sich mit dessen trüben Wassermassen.
Die Leitung des Chemiewerks bestritt zunächst jegliche Verunreinigung des Flusses. Doch die Gerüchte hielten sich. Zehn Tage später brach in Harbin eine Massenpanik aus. Einwohner versuchten per Bahn oder Flugzeug die Millionenmetropole fluchtartig zu verlassen. Zugfahrscheine waren innerhalb kürzester Zeit restlos ausverkauft. Mit Verspätung stellte das Wasseramt Harbin die Trinkwasserversorgung ein. Man entschuldigte diese Maßnahme mit einer Überprüfung des Rohrsystems. Doch die Bevölkerung ließ sich nicht täuschen. Wilde Gerüchte kamen auf. Sämtliche Mineralwasserbestände der Stadt wurden panikartig aufgekauft. Die Behörden räumten schließlich die Gefahr durch die Chemikalien im Flusslauf ein und informierten die Bevölkerung über den Ernst der Lage. Sechzehntausend Tonnen Mineralwasser wurden aus anderen Städten Chinas herangekarrt. Auf einer Länge von achtzig Kilometern sei der Songhua Jiang, aus dem die Stadt ihr Trinkwasser gewann, mit Benzol vergiftet, berichtete die Umweltbehörde der Provinz Heilongjiang . Eiligst wurden Notfallpläne für fünfzehn Krankenhäuser entworfen, um sich auf eventuelle Vergiftungen vorzubereiten. Alle Schulen wurden geschlossen. Die trüben Fluten des Flusses rochen unangenehm nach Chlorphenol.
»Der Abschnitt mit dem giftigen Wasser wird etwa vierzig Stunden brauchen, bis er die Stadt passiert hat«, berichtete der Chef des Wasseramtes Harbin auf dem Höhepunkt der Krise. »Danach müssen wir so schnell wie möglich versuchen das Trinkwasser zu desinfizieren.«
Zwischenzeitlich wurden weitere Wasservorräte herbei geschafft und in allen möglichen Trinkwasserbehältern abgefüllt, vom Eimer bis hin zur Thermosflasche. Die Schulen blieben weiterhin geschlossen. Die Behörden beschafften mehr als tausend Tonnen Aktivkohle aus benachbarten Provinzen. Sie informierten die Öffentlichkeit darüber, dass die künstlich hergestellten Kohlestoffe ganz besonders dafür geeignet seien, die Schadstoffe aus dem Wasser aufzunehmen. Die Einwohner der Stadt glaubten ihnen kein Wort.
Dann drohte Ärger vom russischen Nachbarn. Die russischen Behörden machten mobil und kritisierten die chinesische Informationspolitik aufs Schärfste. Denn siebenhundert Kilometer stromabwärts lag die sechshunderttausend Einwohner zählende Stadt Chabarowsk. Unmittelbar an der chinesisch-russischen Grenze floss der Songhua Jiang in den russischen Strom Amur.
Um der Kritik aus dem Nachbarland zu umgehen, erließ das chinesische Außenministerium eine Verlautbarung: »Die chinesische Seite widmet den Folgen, die dieser Unfall für unsere russischen Nachbarn mit sich bringen kann, große Aufmerksamkeit. China verstärkt die Kontrolle der Wasserqualität des verseuchten Flusses, um die Schäden so gering wie möglich zu halten!« Eine Hotline wurde eingerichtet, um die russischen Behörden auf dem neuesten Stand zu halten.
Kritische Stimmen warfen der chinesischen Regierung vor, nicht energisch genug für die Einhaltung zentraler Umweltstandards zu sorgen. »Wenn Informationen nicht zeitnah, akkurat und transparent weitergegeben werden, so lässt das Raum für Gerüchte«, war auch in der Zeitung »Zhonguo Qingnian Bao« zu lesen.
General Manager Tang Kelin wurde von den zuständigen politischen Stellen zum Rapport gerufen. Zukünftig sei darauf zu achten, dass sich so etwas nicht mehr ereigne. Wenn doch, seien die Beweismittel, dass die China National Petroleum Corporation an einer Umweltverschmutzung beteiligt sein soll, frühzeitig zu vernichten.
Tang Kelin lobte seinen Stellvertreter, der die Explosion bewusst ausgelöst hatte.
»Youming sieh zu, die Schäden schnell zu reparieren. Ich brauche die Halle als zusätzliche Produktionsfläche für die Fluorchlorkohlenwasserstoffe. Wir wollen doch unseren neuen, deutschen Supermarkt pünktlich und ausreichend mit türkischem Olivenöl beliefern!«
Einweihung
Der Juli war
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