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Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Titel: Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Dankbar
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zeichnen können, wie Trauer für jeden Einzelnen im Hospiz sich darstellen kann. Ich glaube, dass er durch die sehr offene Schilderung versuchte, meine Reaktionen abzuschätzen, meine Kommentare einzuordnen, um letztendlich meine Eignung festzustellen. Nach dem Gespräch stand fest, dass ich die Einarbeitung für den sogenannten Basisdienst durch eine bewährte ehrenamtliche Mitarbeiterin machen durfte. Basisdienst bedeutet in erster Linie Küchendienst. Das Hospiz ist wie ein normales Haus aufgeteilt, in der die Küche ein wichtiger Mittelpunkt für die Bewohner ist, die nicht an ihr Bett gebunden sind. Dort nehmen sie ihre Mahlzeiten ein und empfangen ihren Besuch, wenn sie es möchten. Ein Ort, wie wir alle ihn von zu Hause kennen. Der gemütlichste Platz im Haus. Der ehrenamtliche Mitarbeiter reicht je nach Schichtdienst entsprechend den Kaffee oder das Abendessen, räumt die Küche auf, ist unter Umständen den Pflegern mit kleineren Handreichungen im Bewohnerzimmer behilflich und faltet auch schon mal den einen oder anderen Korb Wäsche. Bei allen diesen Tätigkeiten steht das Wohl des Bewohners und auch seiner Angehörigen im Vordergrund. Braucht jemand ein Gespräch von Mensch zu Mensch, bleibt die andere Arbeit zunächst liegen. Es erinnert mich ein wenig an früher: Hatten wir Kinder Kummer oder Sorgen, konnten wir bei einem Glas Milch, später bei einer Tasse Kaffee, uns alles bei unserer Mutter von der Seele reden. Einfaches Zuhören half immer. Ich wurde von einer langjährigen Mitarbeiterin liebevoll eingewiesen, an drei Nachmittagen begleitete ich sie. Erst danach wurde entschieden, ob ich das Team ergänzen würde. Es klappte, im Oktober bekam ich nachmittags einen Dienst zugewiesen. »Dem Sterben mehr Leben geben«, das habe ich seitdem sehr eindrucksvoll erleben dürfen. Das Johannes-Hospiz ist kein bedrückender Ort, sondern ein die letzten Tage glücklich machender Ort. Der Sterbende wird hier umsorgt und gepflegt, seine Bedürfnisse stehen im Vordergrund. Körperlich, aber in besonderer Weise auch seelisch. Seine Ängste vor dem Tod werden ernst genommen, Fragen nach dem Warum und Wieso dürfen gestellt werden. Das, was er sich gegenüber seinen Angehörigen vielleicht nicht zu sagen traut, weil er Rücksicht nimmt, hier darf er es sagen. Das Gleiche gilt für die Angehörigen, auch sie haben Ängste. »Was darf ich ansprechen, was nicht?« »Habe ich mich richtig verhalten?« Gemeinsam lernen sie die wenige kostbare Zeit zu nutzen, um Erinnerungen auszutauschen, zu lachen, sich alles zu erzählen, was noch unbedingt erzählt werden muss oder einfach nur zusammen zu sein, sich zu fühlen, zu streicheln, sich in den Arm zu nehmen. Das Hospiz und seine Atmosphäre hilft, neu zusammenzufinden, auch dann, wenn man sich verloren hat. Ich habe hier erfahren, was es heißt, sich einzulassen, aber auch wieder loszulassen. Vor allem habe ich gelernt, Respekt vor dem Leben zu haben. Ich weiß heute mehr als früher, wie kostbar jeder einzelne Tag, jede einzelne Stunde und Minute ist. Denn ich kann nicht wissen, wann es für mich zu Ende sein wird, noch für jemanden, den ich sehr liebe. In diesem Bewusstsein versuche ich nichts zu verschieben, alles intensiv zu erleben und zu genießen. Ich versuche, das zu tun, was mir und den Menschen um mich herum gut tut. Wahrscheinlich haben es mir die Erlebnisse während meiner Pilgerwanderung leichter gemacht, gut mit den Hospizerfahrungen umgehen zu können. Auf dem Weg hatte ich schließlich gelernt, wenn auch auf andere Weise, was es bedeuten kann, loszulassen und offen zu sein, für das was kommen mag. Eines ist ganz sicher: Das Johannes-Hospiz hat dazu beigetragen, dass meine Ehrfurcht vor dem Leben weiter gewachsen ist.
    Der Oktober stand vor der Tür. Die Einladung zum ersten Ausbildungsseminar zur systemischen Beraterin, das Mitte des Monats stattfinden sollte, hatte ich zusammen mit den restlichen Ausbildungsterminen bereits aus Weinheim erhalten. Bei der Arbeitsagentur musste ich darum kämpfen, dass mir die Zeiten für die Ausbildung nicht als Urlaub abgezogen wurden oder sogar das Arbeitslosengeld währenddessen eingefroren wurde. Es war eben keine Fort- oder Weiterbildungsmaßnahme, die mir die Agentur angeboten hatte. Ich hatte sie mir ohne die Unterstützung meiner Kundenberaterin »selbst organisiert«. Trotzdem reichten ihr meine Aktivitäten nicht. Bei jedem Treffen wurde ich mit der Frage konfrontiert, was ich denn nun machen wolle. Natürlich,

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