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Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela

Titel: Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Dankbar
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Schöpfung, deshalb brauche ich kein Bild mehr.
    Nach dieser Woche hatte ich viele Eindrücke zu verarbeiten, fühlte mich aber auch bestätigt. Es war richtig, mein Tempo zu gehen und mich nicht hetzen zu lassen. Es war gut, Entscheidungen wohlüberlegt zu treffen und dabei meinem Herzen viel Platz einzuräumen und meinen Verstand des öfteren hinten anstehen zu lassen. Wie Elmar Gruber es so schön ausgedrückt hat: »Einsichten und Entdeckungen sind Geschenke, die man nicht erzwingen kann.«
    Bevor ich an den Bodensee gefahren war, hatte ich in Münster im Johannes-Hospiz, einem Sterbehospiz, eine Art Bewerbungsgespräch mit dem dortigen Leiter geführt. Es werden dort ständig ehrenamtliche Mitarbeiter gesucht, die den hauptamtlichen Kräften unterstützend zur Seite stehen. Ich hatte schon öfter über eine ehrenamtliche Arbeit nachgedacht, doch aus Zeitgründen keine Möglichkeit gefunden, dies zu verwirklichen. Jetzt hatte ich genügend Zeit zur Verfügung. Für meine Weinheimer Ausbildung kam mir dieses Ehrenamt ebenfalls entgegen. Ein Flyer vom Hospiz hatte mich aufmerksam gemacht und angesprochen. Meine Vorstellungen dazu waren wenig konkret, außer dass ich mit Sterbenden in Berührung kommen würde. Das schreckte mich nicht ab, im Gegenteil, der Tod gehört für mich wie die Geburt zum Leben. Irgendwann kommen wir alle damit zwangsläufig in Berührung. Ich habe den Tod zum ersten Mal erfahren, als meine Oma, die Mutter meines Vaters, ganz plötzlich starb. Damals war ich noch sehr klein, so um die sechs Jahre alt. Die Beerdigung fand ich toll, weil so viele Kinder da waren und ich mit allen meinen Cousins und Cousinen so schön spielen konnte. Warum die Erwachsenen alle schwarz gekleidet waren und wir ständig ermahnt wurden, nicht so herumzutoben, verstand ich nicht. Einmal habe ich in den Tagen vorher meinen Vater weinen sehen und war deshalb verstört. Als ich ihn in meiner kindlichen Art trösten wollte, hat er gesagt: »Ist schon gut, ist gar nicht so schlimm.« Heute denke ich, es muss für ihn schlimm gewesen sein, seine erst 64-jährige Mutter zu beerdigen und die Gefühle so wenig zeigen zu können. Der Tod und der Schmerz darüber werden in unserer Gesellschaft vielfach ausgeklammert, in das Innerste verschlossen. Die Freude zum Beispiel über eine Geburt wird gern geteilt; Leid zu teilen, fällt den meisten von uns dagegen schwer. Als meine andere Oma, die mit meinem Opa bei uns lebte, starb, erlebte ich die "Trauer mit meinen elf Jahren in unserer Familie auf andere Art. Wir alle vermissten sie, sie war ebenfalls überraschend gestorben. Mein Opa war auf einmal erschreckend hilflos. Meine Mutter sagte einmal: »Wenn wir nicht wären, würde Opa seinen ganzen Lebensmut verlieren.« Mit uns konnte er über seine Frau sprechen, wir hielten das Andenken und die Erinnerungen an sie wach. Das tröstete ihn. Er lebte noch lange bei uns.
    Nach den Osterferien ein Jahr später blieb ein Stuhl in unserer sechsten Klasse leer. Ansgar, ein Klassenkamerad, war von einem Lastwagen überfahren worden. Die ganze Klasse ging mit zur Beerdigung. Ich konnte, wir alle konnten das damals nicht begreifen. Mit unserer Klassenlehrerin sprachen wir darüber, viele von uns weinten, doch das Sprechen darüber half. Über die Jahre habe ich den Tod auf unterschiedlichste Weise kennengelernt. Manches Mal ist er mir besonders grausam erschienen, dann konnte ich ihn zunächst überhaupt nicht akzeptieren. Im Nachhinein habe ich festgestellt, dass fast immer etwas Neues, Wertvolles daraus entstanden ist. Der Tod der jeweiligen Menschen war nie sinnlos. In den Internetseiten des Hospizes las ich etwas sehr Eindrückliches: »Demi Sterben mehr Leben geben.« Der Tod war die eine Seite. Doch was passiert mit den Menschen vorher? Wenn Krankheit hilflos macht? Wenn ich weiß, dass ich sterbe, es keine Hoffnung auf Heilung mehr gibt? Ich erhoffte mir durch die Mitarbeit darauf Antworten. Vor dem Tod habe ich keine Angst, vor einer unheilbaren Krankheit und vor langem Leiden schon. Nicht nur bezogen auf mich, sondern auch mit dem Gedanken an meine Eltern.
    Der Hospizleiter stellte mir viele Fragen. Zu meiner Person, meinem familiären und persönlichen Hintergrund, meiner Einstellung zu Menschen, zu Tod, zum Sterben. Er erzählte über den Alltag des Hauses, die Bewohner und ihre Angehörigen, die Pfleger und die Aufgaben der ehrenamtlichen Mitarbeiter. Er berichtete mir von den verschiedenen Bildern, die Krankheit und Tod

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