Karriere oder Jakobsweg? Wegezeit - Wendezeit. Mein Weg nach Santiago De Compostela
meiner Haut, unter Beweis stellen zu wollen, dass ich weiterhin ein nützliches Mitglied der Gesellschaft war. Eigentlich bin ich traurig, wenn ich solche Gedanken zu Papier bringe. Ist man nur etwas wert, indem man ein produktiver Teil unserer Gemeinschaft ist? Nein, ich glaube vielmehr, dass man auch etwas wert ist, wenn man sich und andere glücklich macht, für Zufriedenheit sorgt. Warum fühlen wir uns - oder zumindest viele von uns - nur gut, wenn wir auch entlohnt werden? »Sich nützlich machen«, dass kann doch auf so vielfältige Weise geschehen. Warum gibt es dafür nicht auch so viel Anerkennung wie für einen tollen Job, für den man Geld bekommt? Beispielsweise für eine Vollzeitmutter? Ich kann den Frust mancher Mütter heute sehr viel besser verstehen als noch zu meinen Angestelltenzeiten. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass der Wert eines Menschen in seinem Herzen steckt und nirgendwo anders. Er zeigt sich als Mitgefühl, im Mut, in den Dingen, die man nicht sehen kann, nicht kaufen kann und die man auch nicht weggeben kann.
Manchmal verfiel ich in das alte Muster, ganz viel schaffen zu wollen, mir wenig Auszeit zu gönnen und mich nur gut zu fühlen, wenn ich möglichst viel erledigt hatte. Schneller als sonst ertappte ich mich aber dabei und versuchte bewusst gegenzusteuern. Ich baute weiterhin Pausen ein, in denen ich mit dem Fahrrad in die Natur hinausfuhr, einen kleinen Spaziergang machte oder einen Kaffee trinken ging. Noch mehr als sonst gönnte ich mir stille Minuten, in denen ich in einen Dialog mit Gott trat. Immer wieder suchte ich auch den Weg zu Kar, die gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Rakandra ein spirituelles Zentrum führt. Sie gehören der gleichen Tradition wie Sita an. Unabhängig von Religionen kann man sich dort durch verschiedene Beratungsangebote des eigenen Potenzials bewusst werden. Beide hatte ich durch Gu kennengelernt. Die energetische Arbeit mit Kar brachte mir viel innere Ruhe und weitere Klarheit. Ich erkannte für mich neue und noch tiefere Zusammenhänge in meinen Verhaltensstrukturen.
Mitte Mai stand der letzte Entwurf für das gesamte Geschäftskonzept. Ich hatte entschieden, die Präsentationsmappe einigen mir wichtigen Menschen für ein Feedback vorzulegen. Erst danach sollten dann alle Unterlagen in Druck gehen. Der Kreis derer, die es lesen sollten, war unterschiedlich zusammengesetzt. Jeder stand für etwas Bestimmtes, jedem gegenüber äußerte ich die Bitte um eine konstruktive Rückmeldung. Ich bekam von allen sehr wertvolle Hinweise, die ich wunderbar nutzen konnte. Sie regten mich neu zum Nachdenken an. Manches nahm ich auf, anderes verwarf ich, auf jeden Fall konnte ich mich durch die Statements nochmals in meiner eigenen Argumentation überprüfen. Ich war sehr berührt, wie viel Mühe und Zeit alle investiert hatten. Das Feedback von Renate, einer sehr erfahrenen und tollen Frau in den Fünfzigern, in Hamburg wohnend, beschäftigte mich am nachhaltigsten. Sie hatte sich nach einer langen erfolgreichen Karriere als Journalistin mit einer Serviceagentur für Medienkonzepte selbstständig gemacht. Wir hatten uns beruflich über bianca kennengelernt und waren auch nach meiner Kündigung in Verbindung geblieben. Erst später befreundeten wir uns. Sie schrieb mir in einer Mail: »Das, was deine Person ausmacht - die persönliche Auseinandersetzung mit jedem Menschen - kommt in dem Text nicht so zum Tragen, wie ich es mir von dir gewünscht hätte. Du bist so ein herzlicher, ehrlicher, mitdenkender und liebevoller Mensch (...). Es gibt kaum eine Führungspersönlichkeit, die sich wie du immer für den Menschen interessiert hat und ihn nicht nur an »seinem von dir eingerichteten Arbeitsplatz« gesehen hat. Dein Blick fürs Ganze hat mich immer fasziniert (...). Nimm dich einfach wichtiger als ein klares, wohlformuliertes Konzept. Trau dich!« In einem Telefonat brachte sie es noch deutlicher zum Ausdruck: »Ich war nicht nur die stellvertretende Chefredakteurin für dich, von der du für deine Firma etwas wolltest, sondern ich war für dich in erster Linie der Mensch, der dir gerade gegenübersteht. Gerade das prädestiniert dich für den Beraterjob, deine Wertschätzung.« Ich kann mich nicht mehr an den vollständigen Wortlaut erinnern, aber sie nahm mich richtiggehend in die Mangel. Auch bläute sie mir ein, mehr über mich, meine Person und meinen Erfahrungsschatz zu erzählen.
Warum war es mir denn so schwer gefallen, meine Sätze in der Ichform
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