Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
gutbürgerliches Viertel mit Einfamilienhäusern und
vereinzelten Villen, und er hatte gehofft, dort ein glückliches Familienleben
führen zu können; das Haus bot auf jeden Fall genug Raum für eine kinderreiche
Familie und hätte es erlaubt, häufig Freunde zu empfangen, aber nichts von
alledem war letztlich eingetreten.
In dem Augenblick, da auf dem
Bildschirm wieder Michel Druckers Gesicht mit dem unvermeidlichen Lächeln zu
sehen war, schaltete sein Vater den Ton ab und wandte sich seinem Sohn zu.
»Hast du vor, eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen?«, fragte er ihn. Jed
bejahte. »Aber momentan verdienst du noch nicht genug, um deinen
Lebensunterhalt zu sichern, sehe ich das richtig?« Jed gab ihm eine
differenzierte Antwort. Zu seiner eigenen Überraschung war er im Verlauf des
vergangenen Jahres von zwei Fotoagenturen angerufen worden. Die erste war auf
Objektfotografie spezialisiert und hatte Kunden wie Quelle und La Redoute, für
deren Kataloge sie die Fotos realisierte; manchmal verkauften sie ihre
Aufnahmen auch an Werbeagenturen. Die zweite hatte sich auf die Gastronomiefotografie
spezialisiert, Zeitschriften wie Notre Temps oder Femme Actuelle nahmen regelmäßig ihre Dienste in Anspruch. Diese Zweige
genossen kein hohes Ansehen und zahlten nicht sonderlich gut: Ein Mountainbike
oder einen Kartoffelauflauf zu fotografieren brachte sehr viel weniger ein als
ein entsprechendes Foto von Kate Moss oder sogar George Clooney, aber die
Nachfrage war beständig, unterlag keinen Konjunkturschwankungen und konnte ein
annehmbares Einkommen garantieren: Jed war daher, wenn er sich die Mühe machte,
nicht ganz mittellos; außerdem fand er es wünschenswert, sich weiterhin als
Fotograf praktisch zu betätigen, wenn auch nur im Rahmen reiner Fotografie. Er
begnügte sich damit, perfekt belichtete, gestochen scharfe Aufnahmen auf
Planfilm abzuliefern, die die Agentur scannte und nach Belieben modifizierte.
Er zog es vor, sich nicht mit dem Retuschieren der Fotos abzugeben, weil das
vermutlich diversen kommerziellen Zwängen und Werbungskriterien unterlag, und
begnügte sich damit, technisch perfekte, ansonsten aber neutrale Negative
abzuliefern.
»Es freut mich, dass du finanziell
unabhängig bist«, erwiderte sein Vater. »Ich habe in meinem Leben einige Typen
kennengelernt, die Künstler werden wollten und von ihren Eltern finanziell
unterstützt wurden – keiner von ihnen hat den Durchbruch geschafft. Es ist
seltsam, man möchte meinen, dass das Bedürfnis, sich auszudrücken und eine Spur
in der Welt zu hinterlassen, eine starke Kraft sein müsse; dennoch reicht das
im Allgemeinen nicht aus. Was noch immer am besten funktioniert und die Menschen
mit Macht dazu drängt, über sich hinauszuwachsen, ist und bleibt ganz einfach
das Bedürfnis nach Geld.
Ich werde dir trotzdem helfen, eine
Wohnung in Paris zu kaufen«, fuhr er fort. »Es ist gewiss notwendig für dich,
dass du wieder unter Leute kommst und Kontakte knüpfst. Außerdem kann man das
als Geldanlage ansehen, auf dem Markt herrscht gerade eine ziemliche Flaute.«
Auf dem Bildschirm war inzwischen ein
Komiker zu sehen, den Jed wiederzuerkennen glaubte. Dann erschien die
Großaufnahme eines selig lachenden Michel Drucker. Jed sagte sich plötzlich,
dass sein Vater vielleicht ganz einfach Lust hatte, allein zu leben; der
Kontakt zwischen ihnen war nie richtig wiederhergestellt worden.
Zwei Wochen später kaufte Jed das
Atelier am Boulevard de l’Hôpital im nördlichen Teil des 13. Arrondissements,
in dem er immer noch wohnte. Die meisten Straßen in der Nähe waren nach Malern
benannt – Rubens, Watteau, Veronese, Philippe de Champaigne –, was sich zur Not
als gutes Vorzeichen interpretieren ließ. Nüchterner betrachtet, war er nicht
weit von den neuen Kunstgalerien entfernt, die in dem Viertel rings um die
Nationalbibliothek eröffnet worden waren. Er hatte über den Kaufpreis nicht
wirklich verhandelt, sich aber trotzdem über die Marktlage informiert; überall
in Frankreich brachen die Preise zusammen, vor allem in den Städten, und
trotzdem standen die Wohnungen leer und fanden keine Abnehmer.
II
J ED HATTE ZWAR SO GUT WIE keine visuellen Erinnerungen an seine Mutter, aber er
hatte natürlich Fotos von ihr gesehen. Sie war eine hübsche Frau mit blasser
Gesichtsfarbe und langem schwarzem Haar gewesen, und auf manchen Aufnahmen
konnte man sie durchaus als schön bezeichnen – sie ähnelte ein bisschen dem
Porträt von Agathe von
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