Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
kurzem
Zögern, und zu seiner eigenen Überraschung stellte er fest, dass seine Stimme
leicht zitterte. »Ich möchte, dass du mir eines versprichst: Verfolge den Fall
Houellebecq weiter. Ich weiß, dass das nicht mehr wirklich von uns abhängt,
aber ich möchte, dass du in regelmäßigen Abständen die Typen von der
Zentralstelle anrufst und mir Bescheid gibst, wenn sie etwas gefunden haben.«
Ferber nickte und versprach es
ihm.
I M L AUF DER FOLGENDEN M ONATE bekamen sie aus den einschlägigen Kreisen nicht den
geringsten Hinweis auf den Verbleib des Gemäldes, und es wurde immer
deutlicher, dass der Mörder kein professioneller Dieb, sondern ein Sammler war,
der auf eigene Rechnung gehandelt hatte und nicht die Absicht hatte, sich von dem
Kunstwerk zu trennen. Das war die denkbar schlechteste Situation, und Ferber
setzte seine Ermittlungen in den Krankenhäusern fort und weitete sie auf die
Privatkliniken aus – zumindest auf jene, die bereit waren, ihnen zu antworten;
die Benutzung hochspezialisierter chirurgischer Geräte blieb ihre einzige
ernsthafte Spur.
Der Fall wurde erst drei Jahre
später gelöst, und zwar durch Zufall. Eine Streife der Gendarmerie, die auf der
A8 zwischen Nizza und Marseille eine Radarkontrolle durchführte, versuchte
einen Porsche 911 Carrera abzufangen, der mit einer Geschwindigkeit von 210
Stundenkilometern über die Autobahn raste. Der Fahrer ergriff die Flucht und
konnte erst auf der Höhe von Fréjus gestoppt werden. Es stellte sich heraus,
dass es sich um ein gestohlenes Fahrzeug handelte, dass der Mann unter Alkoholeinfluss
stand und er der Polizei nicht unbekannt war. Patrick Le Braouzec war schon mehrfach für
belanglose, relativ unerhebliche Straftaten verurteilt worden – Zuhälterei,
Körperverletzung –, aber einem hartnäckigen Gerücht zufolge hatte er sich auf
die ziemlich ausgefallene Tätigkeit des illegalen
Insektenhandels spezialisiert. Es gibt
über eine Million Insektenarten, und jedes Jahr werden weitere unbekannte Arten
entdeckt, insbesondere in den Äquatorregionen. Manche reiche Interessenten sind
bereit, hohe, ja sogar sehr hohe Summen für ein schönes – präpariertes oder
besser noch lebendiges – Exemplar einer seltenen Art zu zahlen. Das Fangen und
erst recht die Ausfuhr dieser Tiere unterliegen sehr strengen Bedingungen, die
Le Braouzec bisher zu umgehen verstanden hatte – er war nie auf frischer Tat
ertappt worden und rechtfertigte seine regelmäßigen Reisen nach Neuguinea,
Sumatra und Guayana mit seiner Vorliebe für den Dschungel und das Leben in der
Wildnis. Tatsächlich hatte der Mann das Temperament eines Abenteurers und
bewies beträchtliche körperliche Beherztheit: Er begab sich allein, ohne
Führer, nur mit ein paar Vorräten, einem Kampfmesser und
Wasserreinigungstabletten ausgestattet, manchmal für mehrere Wochen in einige
der gefährlichsten Urwälder der Erde.
Diesmal entdeckte man im Kofferraum
des Autos ein festes, mit weichem Leder bezogenes Köfferchen mit zahlreichen
winzigen Luftlöchern. Die Löcher waren fast unsichtbar, sodass der Gegenstand
auf den ersten Blick durchaus wie ein Aktenkoffer eines gewöhnlichen
Angestellten wirkte. Im Inneren befanden sich, durch Plexiglaswände getrennt,
etwa fünfzig Insekten, darunter eine Bandassel, eine Vogelspinne und ein
Riesenohrwurm, die die Gendarmen sofort zu bestimmen wussten; die anderen
Insekten wurden erst ein paar Tage später von Mitarbeitern des Nizzaer Museums
für Naturgeschichte identifiziert. Sie schickten die Liste an einen auf diese
Verbrechenssparte spezialisierten Beamten – übrigens den einzigen französischen
Fachmann auf diesem Gebiet –, der eine rasche Schätzung vornahm: Das Ganze
stellte nach handelsüblichen Preisen einen Wert von etwa hunderttausend Euro
dar.
Le Braouzec gab die Sache sofort zu.
Er hatte sich mit einem seiner Abnehmer – einem Chirurgen aus Cannes – über die
Zahlung einer vorherigen Lieferung nicht einigen können und sich bereiterklärt,
zusätzliche Exemplare mitzubringen, um nochmals mit ihm über den Preis zu
verhandeln. Im Verlauf des Gesprächs war es zum Streit gekommen, er hatte dem
Chirurgen einen Hieb versetzt, und dieser war gestürzt und mit dem Hinterkopf
auf einen niedrigen Marmortisch geschlagen. Le Braouzec war überzeugt gewesen,
dass der Mann tot war. »Es war ein dummer Zufall«, verteidigte er sich, »ich
hatte wirklich nicht die Absicht, ihn zu töten.« Daraufhin sei er durchgedreht
und habe den
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