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Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Titel: Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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brachten sich gegenseitig mit Macheten oder
Kalaschnikows um. Die Mischung aus den gewalttätigen Handlungen und dem starren
Gesichtsausdruck der Figuren hatte eine ungemein finstere Wirkung.
    »Für die Lagerung«, fuhr Franz fort,
»habe ich einen Schuppen im Departement Eure-et-Loir. Die hygrometrischen
Bedingungen sind nicht besonders, von der Sicherheit ganz zu schweigen, kurz
gesagt, die Lagerungsbedingungen sind sehr schlecht, aber was soll’s, bisher
habe ich nie Probleme gehabt.«
    Sie trennten sich ein paar Minuten
später, Jed war noch ganz verwirrt. Er irrte lange durch Paris, ehe er
heimkehrte, wobei er sich sogar zweimal verlief. In den folgenden Wochen erging
es ihm ähnlich, er verließ das Haus, ging ohne bestimmtes Ziel durch die Stadt,
die er letztlich schlecht kannte, ab und zu machte er in einer Brasserie Halt,
um seinen Weg wiederzufinden, und meistens musste er einen Stadtplan zu Hilfe
nehmen.
    Als er an einem Oktobernachmittag
die Rue des Martyrs hinaufging, überkam ihn plötzlich ein seltsames Gefühl der
Vertrautheit. Ein Stück weiter nördlich befand sich, wie er sich erinnerte, der
Boulevard de Clichy mit seinen vielen Sexshops und Boutiquen für Reizwäsche.
Sowohl Geneviève als auch Olga hatten gern ab und zu in seinem Beisein
erotische Kleidung gekauft, aber meistens waren sie zu Rebecca Ribs gegangen, einem
Laden, der viel weiter hinten am Boulevard lag; nein, das war es also nicht.
    Er blieb an der Ecke der Avenue
Trudaine stehen, blickte nach rechts, und da fiel es ihm wieder ein. Ein paar
Dutzend Meter weiter befanden sich die Büros, in denen sein Vater seit einigen
Jahren arbeitete. Er war nur einmal hergekommen, kurz nach dem Tod seiner
Großmutter. Das Architekturbüro war damals gerade in die neuen Räumlichkeiten
umgezogen. Nach dem Auftrag für das Kulturzentrum von Port-Ambonne hatten sie
es als notwendig erachtet, ein stärkeres Statussymbol für sich zu beanspruchen, der Firmensitz sollte in ein herrschaftliches Haus , möglichst mit einem gepflasterten Innenhof , oder zur Not an eine Allee verlegt werden. Und die breite, auf beiden Seiten von
Platanen gesäumte Avenue Trudaine, in der fast die Ruhe einer Provinzstadt
herrschte, war für ein renommiertes Architektenbüro geradezu ideal.
    Jean-Pierre Martin sei den ganzen
Nachmittag in einer Besprechung, erklärte ihm die Sekretärin. »Ich bin sein
Sohn«, beharrte Jed sanft. Sie zögerte, dann griff sie zum Telefon.
    Sein Vater tauchte wenige Minuten
später in der Eingangshalle auf, in Hemdsärmeln, mit gelockerter Krawatte und
einem schmalen Aktenordner in der Hand. Er war sichtlich erregt und atmete
heftig.
    »Was ist denn los? Ist irgendjemandem
etwas zugestoßen?«
    »Nein, nichts. Ich schaue nur mal
rein, weil ich gerade hier im Viertel bin.«
    »Ich bin ziemlich beschäftigt, aber …
warte mal. Lass uns draußen einen Kaffee trinken.«
    Das Unternehmen befinde sich gerade in
einer schwierigen Situation, erklärte er Jed. Der neue Firmensitz bedeute eine
hohe finanzielle Belastung, und ihnen sei soeben ein wichtiger Auftrag
entgangen, die Renovierung eines Seebads am Ufer des Schwarzen Meers, er habe
sich gerade mit einem seiner Teilhaber heftig gestritten. Inzwischen atmete er
wieder regelmäßiger und beruhigte sich allmählich.
    »Warum hörst du nicht einfach auf?«,
fragte Jed. Sein Vater reagierte nicht, er blickte ihn nur mit einem Ausdruck völligen
Unverständnisses an.
    »Ich meine, du hast doch ziemlich viel
Geld verdient. Du könntest dich doch bestimmt zur Ruhe setzen und das Leben ein
wenig genießen.« Sein Vater starrte ihn noch immer so an, als drängen die Worte
nicht bis zu seinem Hirn vor oder als ergäben sie keinen Sinn für ihn, doch
schließlich, nach mindestens einer Minute, fragte er: »Aber was sollte ich dann
anfangen?«, und seine Stimme klang wie die eines verstörten Kindes.
    Der Frühling in Paris ist oft eine
einfache Verlängerung des Winters – regnerisch, kalt, schlammig und schmutzig.
Auch im Sommer ist es dort meistens ziemlich unangenehm: Die Stadt ist lärmend
und staubig, richtig heißes Wetter hält nie lange an, es endet nach zwei oder
drei Tagen mit einem Gewitter, gefolgt von einem starken Temperaturabfall. Nur
im Herbst ist Paris eine wirklich angenehme Stadt mit kurzen, sonnigen Tagen,
an denen die trockene, klare Luft ein angenehmes Gefühl der Frische hervorruft.
Während des gesamten Monats Oktober setzte Jed seine Spaziergänge fort, wenn
man dieses fast

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