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Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire

Titel: Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Teller. Ich
bin Galerist.«
    Auf dem Weg zu seiner Galerie in
der Rue de Domrémy (er hatte das Gebäude gekauft, kurz bevor das Viertel mehr
oder weniger in Mode kam; das war, wie er sagte, eine der wenigen guten Ideen
seines Lebens gewesen) gingen sie auf ein Getränk in das Bistro Chez Claude in der Rue du
Château-des-Rentiers, das später zu ihrer Stammkneipe werden und Jed den Stoff
für sein zweites Bild der Serie einfacher Berufe liefern sollte. Der Wirt blieb stur dabei, den letzten
    Rentnern aus »einfachen Kreisen« im 13. Arrondissement billigen Rotwein und
Sandwiches mit Leberpastete und Gewürzgurken zu servieren. In jedem Jahr starb
einer von ihnen fast methodisch, ohne dass er durch einen neuen Gast ersetzt
wurde.
    »Ich habe in einem Artikel gelesen,
dass 80 Prozent der Cafés in Frankreich seit Ende des Zweiten Weltkriegs
dichtgemacht haben«, bemerkte Franz und ließ den Blick durch den Schankraum
gleiten. Nicht weit von ihnen schoben vier Rentner wortlos Karten über die
Resopal-Tischplatte, und zwar nach unverständlichen Regeln, die der
Vorgeschichte der Kartenspiele zu entstammen schienen (Belote? Pikett?). Ein
Stück weiter saß eine dicke Frau mit vom Alkohol geröteten Wangen und leerte
ihr Glas Pastis in einem Zug. »Die Leute haben sich angewöhnt, sich nur eine
halbe Stunde für das Mittagessen zu gönnen und immer weniger Alkohol zu
trinken; der Todesstoß war dann das Rauchverbot.«
    »Ich nehme an, das kommt wieder, wenn
auch in anderer Form. Es hat eine lange historische Phase der Steigerung der
Produktivität gegeben, die allmählich zu Ende geht, zumindest in den westlichen
Ländern.«
    »Sie haben wirklich eine seltsame Art,
die Dinge zu betrachten …«, sagte Franz, nachdem er ihn lange angeblickt hatte.
»Ihre Arbeit mit den Michelin-Karten hat mich sehr interessiert, wirklich sehr;
und trotzdem hätte ich Sie nicht in meine Galerie aufgenommen. Sie waren, sagen
wir mal, zu selbstsicher, das kam mir für jemanden, der so jung ist wie Sie,
nicht normal vor. Doch als ich dann im Internet las, dass Sie beschlossen
haben, mit der Serie über die Karten aufzuhören, habe ich mich entschlossen,
Sie aufzusuchen. Um Ihnen vorzuschlagen, Teil der Künstler zu werden, die ich
vertrete.«
    »Aber ich weiß noch gar nicht, was ich
demnächst tun werde. Ich weiß nicht einmal, ob ich mich überhaupt weiterhin mit
Kunst beschäftigen werde.«
    »Sie verstehen mich falsch«, sagte
Franz geduldig. »Mich interessiert nicht eine bestimmte Form der Kunst oder ein
bestimmter Stil ,
sondern Ihre Persönlichkeit, der Blick, mit dem Sie die künstlerische Tätigkeit
und deren Stellung innerhalb der Gesellschaft betrachten. Wenn Sie morgen mit
einem einfachen, aus einem Spiralheft herausgerissenen Blatt Papier zu mir
kommen würden, auf das Sie geschrieben hätten: »Ich
weiß nicht einmal, ob ich mich überhaupt weiterhin mit Kunst beschäftigen
werde« , würde ich dieses Blatt ohne zu
zögern ausstellen. Dabei bin ich kein Intellektueller; aber Sie interessieren mich.
    Nein, nein, ich bin kein
Intellektueller«, beharrte er. »Ich versuche mehr oder weniger, mir den
intellektuellen Habitus anzueignen, wie er in den schicken Vierteln üblich ist,
weil mir das in meinem Milieu nützt, aber ich bin keiner, ich habe nicht einmal
studiert. Ursprünglich habe ich damit angefangen, Ausstellungen auf- und
abzubauen, und dann habe ich mir dieses Gebäude gekauft und mit ein paar
Künstlern eine gute Nase bewiesen. Aber bei der Wahl der Künstler bin ich immer
rein intuitiv vorgegangen.«
    Anschließend besichtigten sie die
Galerie, die größer war, als Jed sie sich vorgestellt hatte, mit hoher Decke
und Betonwänden, die von Stahlträgern gestützt wurden. »Das war mal eine Fabrik
für Maschinenbau«, sagte Franz. »Sie ist Mitte der achtziger Jahre
pleitegegangen, und dann hat das Gebäude lange leergestanden, bis ich es
gekauft habe. Ich habe umfassende Reinigungsarbeiten machen müssen, aber es hat
sich gelohnt. Es ist ein schöner Raum, finde ich.«
    Jed stimmte ihm zu. Die mobilen
Trennwände waren an die Seite geräumt worden, sodass die Ausstellungsfläche
ihre maximale Größe hatte – dreißig mal zwanzig Meter. Im Moment waren dort
große Skulpturen aus dunklem Metall ausgestellt, die scheinbar eine gewisse
Ähnlichkeit mit der traditionellen afrikanischen Bildhauerkunst hatten, doch
die Themen verwiesen eindeutig auf das zeitgenössische Afrika: Alle Gestalten
lagen im Todeskampf oder

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