Karte und Gebiet - Houellebecq, M: Karte und Gebiet - La carte et le territoire
bemerkte. Er leerte sein Glas und bestellte sich sofort ein weiteres.
»Wenn ich jetzt verkaufe«, fuhr er
fort, »bekommen wir dreißig Millionen Euro dafür, über den Daumen gepeilt.«
Es wurde wieder still im Café. Nicht
weit von ihnen döste ein sehr magerer alter Mann in einem grauen Überzieher vor
seinem Picon-Bier ein. Zu seinen Füßen lag ein rötlich weißer dicker Hund, ein
kleiner Rattenjäger, der wie sein Herr halb schlummerte. Es begann wieder sanft
zu regnen.
»Also«, sagte Franz nach einer Minute,
»was soll ich machen? Soll ich jetzt verkaufen?«
»Wie du willst.«
»Was soll das heißen, wie du willst,
verdammte Scheiße! Ist dir eigentlich klar, wie viel Geld das ist?« Er hatte
fast geschrieen, und der alte Mann in ihrer Nähe schreckte hoch; der Hund stand
mühsam auf und knurrte sie an.
»Fünfzehn Millionen Euro … Fünfzehn
Millionen Euro für jeden«, fuhr Franz mit leiser, halb erstickter Stimme fort.
»Und ich habe den Eindruck, dass dich das völlig kalt lässt.«
»Nein, nein, entschuldige«, erwiderte
Jed schnell. »Sagen wir besser, ich stehe noch unter Schock«, fügte er ein
wenig später hinzu.
Franz betrachtete ihn mit einer
Mischung aus Argwohn und Abscheu. »Na gut, okay«, sagte er schließlich. »Ich
bin nicht Larry Gagosian, meine Nerven sind für so etwas nicht stark genug. Ich
verkaufe jetzt.«
»Du hast sicher recht«, sagte Jed
eine gute Minute später. Es herrschte wieder Stille, die nur vom Schnarchen des
Rattenjägers gestört wurde, der sich wieder beruhigt vor den Füßen seines Herrn
hingelegt hatte.
»Was meinst du …«, sagte Franz. »Was
meinst du, für welches Bild ich das höchste Angebot bekommen habe?«
Jed dachte einen Augenblick nach.
»Vielleicht für Bill Gates und Steve Jobs«, meinte er schließlich.
»Haargenau. Dafür sind mir eineinhalb
Millionen geboten worden. Von einem amerikanischen Makler, der, wie es scheint,
im Auftrag von Jobs persönlich agiert.
Schon seit langem …«, fuhr Franz mit
gereizter, fast erbitterter Stimme fort, »schon seit langem wird der Kunstmarkt
von den reichsten Geschäftsleuten der Welt beherrscht. Und heute haben sie zum
ersten Mal die Gelegenheit, nicht nur etwas zu kaufen, was vom ästhetischen
Gesichtspunkt an der Spitze der Avantgarde steht, sondern noch dazu ein Bild,
das sie selbst darstellt. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viele
Angebote ich von Geschäftsleuten oder Industriellen bekommen habe, die sich von
dir porträtieren lassen wollen. Wir sind in die Epoche der Hofmalerei des
Ancien Régime zurückgefallen … Also, ich will damit nur sagen, dass im Moment
verdammt großer Druck auf dich ausgeübt wird. Hast du noch immer die Absicht,
Houellebecq sein Porträt zu schenken?«
»Selbstverständlich. Das habe ich ihm
versprochen.«
»Wie du willst. Das ist ein schönes
Geschenk. Ein Geschenk, das siebenhundertfünfzigtausend Euro wert ist … Aber na
ja, er verdient es. Sein Vorwort hat eine wichtige Rolle gespielt. Dadurch,
dass er den systematischen, theoretischen Charakter deiner Vorgehensweise
hervorgehoben hat, hat er verhindert, dass man dich mit den Anhängern der neuen
figurativen Malerei in einen Topf wirft, diesen miesen Typen …
Selbstverständlich habe ich die Bilder nicht in meiner Scheune im Eure-et-Loir
gelagert, sondern ich habe Schließfächer in einer Bank gemietet. Ich gebe dir
ein Papier, dann kannst du das Porträt von Houellebecq abholen, wann du
willst.«
»Ich habe auch Besuch erhalten«,
fuhr Franz nach einer erneuten Pause fort. »Von einer jungen Russin, ich nehme
an, du weißt, wer sie ist.« Er holte eine Visitenkarte hervor und reichte sie
Jed. »Eine sehr hübsche junge Frau …«
Es wurde allmählich dunkel. Jed
steckte die Visitenkarte in die Innentasche seiner Lederjacke und schickte sich
an, diese überzustreifen.
»Warte noch einen Augenblick«,
unterbrach ihn Franz. »Ehe du gehst, möchte ich mich nur kurz vergewissern,
dass du die Situation genau begreifst. Ich habe etwa fünfzig Anrufe von Männern
erhalten, die zu den reichsten Männern der Welt gehören. Manchmal haben sie
einen Mitarbeiter anrufen lassen, aber meistens waren sie selbst am Apparat.
Sie wollen alle, dass du sie porträtierst. Und sie bieten dir alle eine Million
Euro dafür an – mindestens.«
Jed zog die Jacke an und holte seine
Brieftasche hervor, um zu bezahlen.
»Ich lade dich ein«, sagte Franz und
verzog dabei spöttisch das Gesicht. »Du brauchst mir keine
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