Kartiks Schicksal
ich und hoffe, dass sie nicht sieht, wie sich meine Zweifel in Angst verwandeln.
3. Kapitel
Der Regen hat seiner Wut freien Lauf gelassen. Er hat den schlafenden Rosengarten und den Rasen durchtränkt. Er hat auch meine Freundin Ann Bradshaw gefunden. Sie steht in der Eingangshalle, mit einem unschönen braunen Wollmantel und einem graubraunen, mit Regentropfen gesprenkelten Hut. Ihr kleiner Koffer steht zu ihren Füßen. Sie hat die Woche bei ihren Verwandten, einer entfernten Cousine und deren Mann, in Kent verbracht. Im Mai, wenn Felicity und ich debütieren werden, wird Ann zu ihnen ziehen, um als Gouvernante ihrer zwei Kinder für sie zu arbeiten. Unsere einzige Hoffnung, sie vor diesem Schicksal zu bewahren, war die Magie zu Hilfe zu rufen. Aber wie sehr ich mich auch bemühe, ich kann das Magische Reich nicht betreten. Und ohne das Magische Reich kann ich die Magie in mir nicht wieder zum Leben erwecken. Seit Weihnachten habe ich diese fantastische Welt nicht mehr gesehen, obwohl ich in den vergangenen Monaten ein Dutzend Male versucht habe, dorthin zurückzukehren. Es gab Momente, wo ich einen Funken spürte, aber zu kurzlebig, nicht ergiebiger als ein Regentropfen in einer Dürre. Unsere Hoffnungen schwinden von Tag zu Tag und unsere Zukunft scheint so unabänderlich wie die Sterne.
»Willkommen zu Hause«, sage ich und helfe Ann aus ihrem nassen Mantel.
»Danke.« Ihre Nase läuft und ihr Haar, von stumpfem Braun wie das Fell einer Feldmaus, ist aus seiner Verankerung geschlüpft. Lange, dünne Strähnen hängen über ihre blauen Augen und kleben an ihren pausbackigen Wangen.
»Wie war es bei deinen Verwandten?«
Ann lächelt kein bisschen. »Erträglich.«
»Und die Kinder? Magst du sie?«, frage ich hoffnungsvoll.
»Lottie hat mich eine Stunde lang in einem Schrank eingesperrt. Klein-Carrie hat mich vors Schienbein getreten und mich einen Pudding genannt.« Sie wischt sich die Nase. »Das war am ersten Tag.«
»Oh.« Wir stehen befangen im Schein des berühmt-berüchtigten schlangenarmigen, bronzenen Kronleuchters von Spence.
Ann senkt ihre Stimme zu einem Flüstern. »Ist es dir gelungen, ins Magische Reich zurückzukehren?«
Ich schüttle den Kopf und Ann sieht aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. »Aber heute Nacht versuchen wir es wieder«, sage ich rasch.
Ein Schimmer eines Lächelns erhellt für einen Moment Anns Gesicht. »Es besteht noch Hoffnung«, füge ich hinzu.
Wortlos folgt mir Ann in den Marmorsaal, vorbei an den lodernden Kaminfeuern, den mit eingemeißelten Figuren geschmückten Marmorsäulen, den kartenspielenden Mädchen. Eine kleine Gruppe von jüngeren Schülerinnen hängt atemlos an Brigids Lippen, die ihnen Geschichten von Feen und Kobolden erzählt, von denen sie schwört, dass sie im Wald hinter Spence hausen.
»Nein, tun sie nicht!«, protestiert eins der Mädchen, aber in ihren Augen sehe ich den Wunsch, eines Besseren belehrt zu werden.
»Oh doch, das tun sie, Miss. Und auch noch andere Wesen. Deswegen sollen Sie nach Einbruch der Dunkelheit besser nicht hinausgehen. Das ist die Zeit, in der sie ihr Unwesen treiben. Bleiben Sie schön in Ihren Betten und Sie werden nicht aufwachen und feststellen, dass Sie in die Anderswelt entfuhrt worden sind«, warnt Brigid.
Die Mädchen stürzen an die Fenster, um in die unermessliche tiefe Nacht hinauszuschauen, in der Hoffnung, einen Schimmer von Feenköniginnen und Geistern zu erhaschen. Ich könnte ihnen sagen, dass sie sie hier nicht sehen werden. Sie müssten mit uns durch das Tor aus Licht in die Welt jenseits der unseren reisen, um mit solchen fantastischen Wesen Bekanntschaft zu schließen. Und vielleicht würde ihnen das, was sie dort sehen, ganz und gar nicht gefallen.
»Unsere Ann ist wieder da«, verkünde ich, als ich die Vorhänge zu Felicitys privatem Zelt aufschlage. Extravagant wie eh und je hat Felicity eine Ecke des riesigen Raumes mit Seidenvorhängen abgetrennt. Es ist wie das Heim eines Paschas und sie gebietet darüber, als sei es ihr eigenes, angestammtes Reich.
Felicity betrachtet Anns schlammverschmierten Rocksaum. »Pass auf die Teppiche auf.«
Ann wischt ihren schmutzigen Rock ab und streut dabei eingetrocknete Schlammkrümel auf den Boden. Felicity seufzt gereizt. »Oh, Ann, wirklich.«
»Tut mir leid«, murmelt Ann. Sie zieht ihren Rock eng um sich und setzt sich auf den Boden, bemüht, ihn nicht noch mehr zu beschmutzen. Ohne zu fragen, greift sie in die Schokoladenschachtel
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