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Karwoche

Karwoche

Titel: Karwoche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Föhr
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möchte nicht hier aufwachen.«
    »Vielleicht eine Art Therapie. Man gewöhnt sich ja an alles. Irgendwann kommt dir das Gesicht ganz normal vor.«
    »Glaubst du? Bei dem Kult, den sie um ihre hübsche Gesichtshälfte gemacht hat?«
    Wallner zuckte mit den Schultern. »Wer ist das auf den anderen Fotos?«
    An einer Wand hingen etwa hundert Fotografien, auf denen andere Personen zu allen möglichen Jahreszeiten zu sehen waren, oft vor einer Villa im Heimatstil des Gabriel von Seidl. Wallner blieb vor der Aufnahme einer Frau in den Fünfzigern stehen. Schneelandschaft, im Hintergrund die Villa. Der Blick der Frau war ernst, die Augen dunkel, ein Schatten von Verzweiflung lag über dem schönen Gesicht. Eine Momentaufnahme.
    »Das ist doch Katharina Millruth, oder?«
    »Glaub schon. Im Fernsehen schauen die immer anders aus.« Mike hatte sich neben Wallner gestellt. »Ja, das ist sie. Wahrscheinlich morgens und ungeschminkt.« Mike ging einen Schritt zurück und blickte sinnierend auf das Foto. »Tele.«
    »Teleobjektiv?«
    »Definitiv. Die steht an der Remise. Das sind bestimmt fünfzig Meter zum Haus. Auf dem Bild schaut’s aber aus, wie wenn sie direkt am Haus steht.«
    »Das hast du noch so im Kopf?«
    »Wir haben letzte Weihnachten alles vermessen da oben.« Mike hatte Weihnachten Bereitschaft gehabt. Auch Wallner war kurz am Tatort gewesen, hatte sich aber nicht näher mit der Sache befasst. Der Fall war schnell geklärt.
    »Was schätzt du, wie weit weg ist die Kamera?«
    »Keine Ahnung. Hundert Meter, zweihundert? Du kannst jedenfalls davon ausgehen, dass sie die Millruth heimlich fotografiert hat.«
    Wallner nahm das Foto vorsichtig von der Wand. Es war mit einer Stecknadel angepinnt. Auf der Rückseite stand »25.12.2009«. Er zeigte es Mike.
    »Der Tag, als die kleine Millruth erschossen wurde.«
    »Da stellen sich doch ein paar Fragen.«
    »Zum Beispiel: War das, bevor wir da waren, oder danach?«
    »Und?«
    Mike betrachtete das Foto genauer. »Ich würde sagen: davor.«
    »Warum?«
    »Der Schnee. An der Stelle da«, Mike deutete auf das Foto, »ist ein Fußabdruck, oder?«
    »Ja. Und?«
    »Wir sind mit drei oder vier Einsatzwagen da gewesen. Dazu der Gerichtsmediziner und der Staatsanwalt. Danach war der Schnee platt. Muss also vorher gewesen sein.«
    »Wann sind wir verständigt worden?«
    »Weiß ich nicht mehr auf die Minute. Muss aber so um halb neun gewesen sein.«
    »Was macht Frau Lohwerk am ersten Weihnachtsfeiertag um, sagen wir, acht Uhr morgens mit einem Teleobjektiv am Haus der Familie Millruth?«
    »Keine Ahnung.«
    Sie sahen sich die restlichen Fotos an. Hanna Lohwerk hatte anscheinend über mehrere Jahre hinweg immer wieder Katharina Millruth und andere Mitglieder der Familie fotografiert. Auf einer Aufnahme waren zwei Männer im Alter zwischen sechzig und siebzig Jahren abgebildet.
    »Das ist Wolfgang Millruth. Den kennst du ja eh.«
    »Der ist wie noch mal mit ihr verwandt?«
    »Der Schwager. Und das hier ist ihr Mann Dieter. Der Bruder von Wolfgang. Dieter Millruth ist auch Schauspieler. Hast du bestimmt schon mal im Fernsehen gesehen.«
    »Kann sein«, sagte Wallner, konnte sich aber nicht erinnern.
    Es gab auch Fotos von jüngeren Personen um die dreißig, die Mike als Kinder des Ehepaares Millruth identifizierte – oder Partner der Kinder. So genau hatte er die Familienverhältnisse nicht mehr im Kopf. Eine Aufnahme zeigte Leni Millruth, die Tochter, die Weihnachten erschossen worden war. Sie stand im T-Shirt an einem Fenster. Es war Winter. Das Mädchen zart, bleich, mit Ringen um die Augen. Sie hatte viel von dem schönen Gesicht ihrer Mutter. Ihr Blick war trüb und in die Ferne gerichtet. An den Armen waren Flecke, Mike erinnerte sich, dass man Brandnarben von ausgedrückten Zigaretten auf der Leiche gefunden hatte.
    »Das ist die kleine Millruth?«, fragte Wallner.
    »Ja. Muss kurz vorher gewesen sein. Bevor es passiert ist.« Mike nahm das Foto ab. Es trug auf der Rückseite das Datum des vierundzwanzigsten Dezembers 2009.
    Wallner inspizierte eines der Fotos aus nächster Nähe. Es zeigte Wolfgang Millruth mit einer Decke, auf dem Weg vom Haupthaus zum ehemaligen Stall; in der Tür des Haupthauses stand Katharina Millruth. Die Aufnahme war am fünfundzwanzigsten Dezember gemacht worden. »War die Leiche unter einer Decke?«
    »Ja, sie haben sie zugedeckt. Hat auch schlimm ausgesehen. Warum?«
    »Dann muss das ziemlich bald nach der Entdeckung der Leiche gewesen sein.« Wallner

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