Kassandra Verschwörung
Branch – ein grünes Blatt am Zweig, dem Spezialzweig von Scotland Yard, haha!« Drei Monate später lachten sie darüber in Ecuador.
Inspector John Greenleaf, Exbeamter der Metropolitan Police und jetzt – aber wie lange noch? – bei der Special Branch? Was soll’s. Es gab schließlich auch viele Schlachter, die Lamm hießen. Er sollte sich nicht darum scheren. Er weiß, dass Greenleaf ein schöner Name ist, Frauen bestätigen ihm das immer wieder. Doch er kriegt das letzte Wochenende einfach nicht aus dem Kopf. Doyle’s Party. Falls man zwanzig Männer, zweihundert große Biere und eine Stripperin eine »Party« nennen will. Greenleaf hatte erwogen, einfach nicht hinzugehen, war aber zu dem Schluss gelangt, dass Doyle dann nur über ihn herziehen würde. Also war er hingegangen zu dem im East End gelegenen Fitnessstudio mit angeschlossener Boxschule. Die Auswahl der Lokalität passte zu Hardman Doyle, der sich selbst für einen tollen Boxer hielt. Es roch nach rohem Fleisch. Auf einem auf Böcken stehenden Tisch befand sich reichlich Bier. Kein Essen. Doyle hatte für später Plätze in einem indischen Restaurant reserviert. Fünf oder sechs der Männer standen vor dem Biertisch, die anderen waren im Fitnessstudio verstreut. Einige mühten sich schnaufend am Barren ab oder versuchten sich am Bock. Zwei schlugen wie wild auf Boxsäcke ein. Und die paar vor dem Biertisch... Alle murmelten bei seiner Ankunft ihre Begrüßung, aber er hatte auch den Schluss des zuvor gesagten Satzes aufgeschnappt: »... eenleaf of the Branch, hat’s geklingelt?«
Ja, es hatte geklingelt. Dann Funkstille. Doyle schlug ihm mit dem Lächeln eines Doppelglasfenstervertreters auf den Rücken und reichte ihm eine Dose Bier.
»Schön, dass du es geschafft hast, John. Ohne dich war die Party ein bisschen langweilig.« Doyle nahm eine weitere Dose vom Tisch, schüttelte sie kräftig und klopfte einem ahnungslosen Gast auf die Schulter.
»Bitte schön, Dave.«
»Danke, Doyle. Zum Wohl!«
Doyle zwinkerte Greenleaf zu und wartete, dass Dave die Lasche der Dose aufriss …
Und Greenleaf, Greenleaf von der Special Branch, lachte so ausgelassen wie alle anderen und trank so viel wie alle anderen und feuerte die Stripperin mit Pfiffen an und aß sein Chicken Madras mit Lime Chutney... und empfand nichts. So wie er auch jetzt nichts empfindet.
New Scotland Yard... Special Branch... eigentlich sollte es für einen Bullen das große Los sein. Doch Greenleaf hat etwas Seltsames festgestellt. Und zwar hat er festgestellt, dass an dem Spruch »Nur ein Dieb kann einen Dieb fangen« etwas dran ist. Einige seiner derzeitigen Kollegen scheinen sich nicht sonderlich von den Schurken zu unterscheiden, die sie aus dem Verkehr ziehen sollen. So engstirnig wie Terroristen, so durchtrieben wie Schmuggler. Doyle, in seinem Job sehr effektiv, war ein gutes Beispiel dafür. Es machte ihm nichts aus, fünfe grade sein zu lassen. Doyle weigerte sich, die Welt schwarzweiß zu sehen, sie in ein scharf unterteiltes Wir und Die zu trennen, wohingegen Greenleaf dies tat. Für ihn gab es die Guten und die Bösen, die auf der anderen Seite standen. Der Feind befand sich da draußen, und man sollte nicht unter ihm zu leiden haben. Falls er als Informant nützlich war, gut, dann bediente man sich seiner. Aber ohne ihn anschließend zu belohnen. Er sollte nicht davonkommen. Nein, man musste ihn wegsperren.
»John?«
»Sir?«
»In mein Büro.«
Himmel, was gibt es denn jetzt schon wieder? Seine letzte große Aufgabe hatte darin bestanden, einen Bericht über sämtliche zu berücksichtigende Sicherheitsaspekte im Hinblick auf den in London bevorstehenden Regierungsgipfel zu erstellen. Er war zwei Wochen damit beschäftigt gewesen, Nächte und Wochenenden eingeschlossen. Sein fertiges Werk hatte ihn mit Stolz erfüllt, aber niemand verlor ein Wort darüber – noch nicht. Und da stand nun der Alte selbst, der Häuptling, der Boss, Commander Bill Trilling, und bestellte ihn in sein Büro, das permanent nach Pfefferminzbonbons roch.
»Setzen Sie sich, John. Ein Pfefferminzbonbon?«
»Nein danke, Sir.«
Trilling nahm sich ein Bonbon und steckte es sich in den Mund. Er hatte vor sieben Monaten das Rauchen aufgegeben und naschte jetzt vier Packungen Bonbons am Tag. Seine Zähne waren im Eimer, und er hatte fast vier Kilo zugenommen, vier Kilo, die er sich nicht leisten konnte. Wie er da in seinem Schreibtischstuhl mit den hohen Armlehnen saß, sah er aus, als
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