Kassandra Verschwörung
bedürfte es eines Brecheisens, um ihn da wieder herauszubekommen. Vor ihm auf seinem notorisch aufgeräumten Schreibtisch lag ein Blatt Papier, aber keine Spur von Greenleafs Bericht. Er nahm das Blatt auf.
»Ich habe ein bisschen Arbeit für Sie, John. Vielleicht ist es was, vielleicht auch nicht. Vor Folkestone ist ein Schiff gesunken. Wir sind gebeten worden, uns der Sache anzunehmen. Es ist schon ein paar Tage her. Ich kann nicht sagen, dass ich irgendetwas davon mitgekriegt hätte.«
Es war hinlänglich bekannt, dass Trilling grundsätzlich nur zwei Zeitungen las: die Financial Times und die Sporting Life . Er stand auf Wetten; manchmal setzte er sein Geld auf todsichere Anleihen oder Aktien, manchmal auf ein Pferd oder einen Hund. Niemand wusste wirklich, wie erfolgreich er damit war, denn er gab nie etwas preis, nicht einmal wenn Doyle stichelte.
»Ich glaube, ich habe in meiner Zeitung davon gelesen, Sir.«
»Tatsächlich? Gut, na dann...« Trilling reichte ihm das Blatt. »Erstatten Sie mir Bericht, wenn Sie etwas herausfinden sollten.«
»Wie viel Aufwand ist gestattet, Sir?«
»Nicht mehr als eine Tagesreise nach Folkestone. Am besten setzen Sie sich mit Doyle in Verbindung.«
»Mit Doyle, Sir?«
»Ich habe ihn auf die französische Seite angesetzt.« Greenleaf machte ein verdutztes Gesicht. »Habe ich das nicht erwähnt? Vor Calais ist in der selben Nacht ein weiteres Schiff gesunken. Offenbar spricht Doyle ein ganz passables Französisch.«
Ein Ausflug nach Calais für Doyle, ein Nachmittag in Folkestone für Greenleaf. Typisch.
»Also, setzen Sie sich mit Doyle in Verbindung. Vielleicht können Sie sogar einen Teil des Weges zusammen fahren. Aber sehen Sie zunächst zu, was Sie telefonisch erreichen können. Wir wollen schließlich keine kostspieligen Dienstausflüge, falls es sich vermeiden lässt. Nicht solange sie sogar zählen, wie viele Büroklammern wir verbrauchen. Wie es so schön heißt, John, das Preis-Leistungs-Verhältnis muss stimmen. Vielleicht sollten Sie lieber einen Brief schreiben als zu telefonieren.«
Der Commander grinste. Das war seine Art, sein Gegenüber wissen zu lassen, dass er einen Witz gerissen hatte.
Donnerstag, 4. Juni
Seine erste »Liasion« mit Doyle fand um elf Uhr am nächsten Morgen statt.
»Bring deinen Stuhl mit«, sagte Doyle und ergriff somit die Initiative: Das Treffen würde also in Doyles Revier stattfinden. Greenleaf legte zuerst seine Notizen auf den Sitz seines schweren, metallgerahmten Stuhls und trug diesen dann in Doyles Büro. Doch als er ihn dort vor dem Schreibtisch abstellte, segelten die Blätter allesamt auf den Boden. Doyle tat so, als hätte er nichts bemerkt. Doyles eigene Notizen waren, wie Greenleaf zur Kenntnis nahm, ordentliche Computerausdrucke – nicht, weil er sich selbst die Mühe gemacht, sondern weil er eine »gute Freundin« im Schreibbüro hatte. Ohne jeden Zweifel hatte sie an diesem Morgen wichtigere Arbeit liegen lassen, um stattdessen Doyles Aufzeichnungen abzutippen. Es sah alles sehr effizient aus, eine einzige Büroklammer hielt den ganzen Stapel zusammen. Doyle entfernte diese jetzt und ließ sie auf den Boden fallen. Dann breitete er die Seiten vor sich aus.
»Gut«, sagte er. »Was hast du bisher?«
»Ein kleines Ausflugsschiff«, antwortete Greenleaf. »Muss gut drei Kilometer vor der Küste gesunken sein, direkt südlich von Folkestone. Es gab ein automatisches Alarmsystem an Bord, das die Küstenwache informiert hat. Das System schlägt nur in zwei Situationen Alarm: Wenn der Alarm von einem Mitglied der Bootsmannschaft ausgelöst wird oder wenn es mit Wasser in Berührung kommt. Von dem Schiff selbst gibt es keine Spur, nur ein paar Trümmer, Öl und die beiden Leichen.«
»Was hat die Autopsie ergeben?«
»Auf die Berichte warte ich noch.«
»Um welche Uhrzeit hat sich das alles zugetragen?«
»Der Alarm wurde um drei Uhr siebenundzwanzig ausgelöst.«
»Das französische Schiff ist gegen drei Uhr gesunken«, fügte Dolye hinzu. »Und wer war an Bord?«
»Zwei Männer. George Crane und Brian Perch.«
»Crane und Perch – Kranich und Flussbarsch?« Greenleaf nickte, und Doyle brach in schallendes Gelächter aus. »Waren sie zum Angeln rausgefahren?«
»Nein, nicht zum Angeln. Es war ein Vergnügungsschiff. Du weißt schon, so eine Art Motoryacht. Ich habe nicht viel Ahnung von Schiffen, aber so hat man es mir beschrieben.«
»Und was haben die beiden mitten in der Nacht da draußen
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