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Kassandra

Kassandra

Titel: Kassandra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Ida-Gebirge. Unwichtig, daß er mich in dem Haufen gefangener Frauen suchte, nicht erkannte. Ich sah: Er kommt davon, und lächelte.
    Was will die Alte, Ausgemergelte von mir, was schreit sie denn. Das Lachen werde mir schon noch vergehen. Ja, sag ich. Das weiß ich. Bald.
    Jetzt will ein Wächter den Einheimischen jeglichen Kontakt mit Sklaven verbieten. So schnell. Das hat mich bei den Griechen immer erstaunt: Sie tun, was getan sein muß, schnell. Und gründlich. Wie lange hätte, bei der ironischen Verfassung unsrer jungen Leute im Palast, das Verbot, mit Sklaven zu verkehren, doch gebraucht, eh man es überhaupt verstanden hätte. Befolgen! Von Befolgen konnte keine Rede sein. Daran ist sogar Eumelos gescheitert. Unsereins will euch retten, hat er bitter zu mir gesagt, und ihr, hinter meinem Rükken, zieht euch selber den Boden weg. Auf seine Weise hat er recht gehabt. Er wollte uns, wie der Krieg uns brauchte. Wir sollten werden wie der Feind, um ihn zu schlagen. Es lag uns nicht. Wir wollten sein wie wir, unkonsequent, das war das Wort, das Panthoos uns anhängte. Achselzuckend, resigniert. So wird das nichts, Kassandra. Mit den Griechen führt man anders Krieg. Er mußte es ja wissen. Er war ja wohl der Konsequenz der Griechen ausgewichen. Er sprach darüber nicht. Was ihn wirklich anging, hielt er tief versteckt. Man mußte seine Gründe aus Nachrichten, Gerüchten und Beobachtung zusammensetzen.
    Was mir früh auffiel: seine Angst vor Schmerz. Daß erempfindlich war. Auf körperlichen Wettstreit ließ er es nie ankommen. Ich aber, fällt mir ein, ich war berühmt dafür, daß ich Schmerz ertrug. Daß ich die Hand am längsten über der Flamme hielt. Nicht das Gesicht verzog. Nicht weinte. Panthoos, das fiel mir auf, ging weg. Ich deutete es als Mitgefühl für mich. Es waren überreizte Nerven. Viel später ging mir auf, daß, wie ein Mensch sich gegenüber Schmerz verhält, mehr über seine Zukunft verrät als die meisten andern Zeichen, die ich kenne. Wann ist bei mir der Hochmut gegen Schmerz zusammengebrochen. Bei Kriegsbeginn, natürlich. Seit ich die Angst der Männer sah: Was war denn ihre Angst vorm Kampf, wenn nicht die Angst vor körperlichem Schmerz. Ihre ausgefallnen Tricks, die Angst zu leugnen oder vor dem Schmerz, dem Kampf zu fliehn. Doch schien die Angst der Griechen die der unsern weit zu übersteigen. Natürlich, sagte Panthoos. Sie kämpfen in der Fremde. Ihr zu Haus. Was tat denn er, der Fremde, unter uns? Man konnte ihn nicht fragen.
    Was man wußte: Panthoos war ein Beutestück des Vetters Lampos vom ERSTEN SCHIFF – so nannte man das Unternehmen im Palast, nachdem ihm ein zweites und ein drittes gefolgt waren und man endlich die Benennung des Volkes, »Schiff nach Delphi«, durch neutrale Namen aus dem Verkehr ziehn wollte. So legte es kurz und bündig Anchises aus, der Vater des Aineias, der mich, die Königstochter, Priesterin, die Geschichte Troias lehrte. Also hör doch mal zu, Mädchen. (Des Anchises langer Kopf. Der hohe, vollkommen kahle Schädel. Die Unzahl der Querfalten auf der Stirn. Die dichten Brauen. Der helle listige Blick. Die beweglichenGesichtszüge. Das starke Kinn. Der heftige, oft zum Lachen, öfter zum Schmunzeln aufgerissene oder verzogne Mund. Die schlanken kraftvollen Hände mit den heruntergearbeiteten Nägeln, des Aineias Hände.) Also hör zu. Die Sache ist doch ganz einfach. Da schickt man, meinetwegen dein Vater, obwohl ich bezweifle, daß er die Idee selber hatte; ich tippe auf Kalchas – schickt, sag ich, einen Vetter des Königshauses, diesen Lampos, der als Hafenverweser ganz brauchbar ist, aber als Bote des Königs in delikatem Auftrag?, schickt Lampos mit einem Schiff in hochgeheimer Mission nach Griechenland. Ist dumm – oder sagen wir: unvorsichtig – genug, das Volk zum Jubeln bei der Ausfahrt an den Hafen zu bestelln. – Mich auch, Anchises. Auf dem Arm der Amme. Licht, Jubel, Fähnchen, blitzendes Wasser und ein mächtiges Schiff: Meine erste Erinnerung. – Da haben wirs schon. Ein mächtiges Schiff. Erlaube, daß ich lächle. Ein bescheidenes Schiffchen, fast sag ich: ein Boot. Wenn wir nämlich in der Lage gewesen wären, ein mächtiges Schiff auszurüsten, dann hätten wir es nicht ausgerechnet nach Griechenland geschickt. Dann hätten wir nämlich weder diese zudringlichen Griechen noch die Ehrenbezeugung vor ihrem Orakel nötig gehabt. Hätten uns nicht auf Verhandlungen eingelassen über unser angestammtes Recht, den Zugang zum

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