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Kassandra

Kassandra

Titel: Kassandra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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ließ keinen Zweifel: Helena sollte nach Sparta zurück. Doch war mir klar: Der König mußte diese Forderung ablehnen. Mit ganzem Herzen wollt ich mich an seine Seite, an die Seite Troias stellen. Auf den Tod konnt ich nicht einsehn, warum im Rat noch eine ganze Nacht gestritten wurde. Paris, grünbleich, verkündete wie ein Verlierer: Nein. Wir liefern sie nicht aus. – Mann, Paris! rief ich. Freu dich doch! Sein Blick, endlich sein Blick, gestand mir, wie er litt. Dieser Blick gab mir den Bruder zurück.
    Wir haben ja dann alle den Anlaß für den Krieg vergessen. Nach der Krise im dritten Jahr hörten auch die Kriegsleute auf, den Anblick der schönen Helena zu fordern. Mehr Ausdauer, als ein Mensch aufbringen kann, hätte es gebraucht, immer weiter einen Namen im Munde zu führen, der immer mehr nach Asche schmeckte, nach Brand und Verwesung. Sie ließen von Helena ab und wehrten sich ihrer Haut. Um aber dem Krieg zujubeln zu können, hatten sie diesen Namen gebraucht. Er erhob sie über sich hinaus. Beachtet, sagte Anchises uns, des Aineias Vater, der gerne lehrte und uns, als das Ende des Krieges abzusehn war, zwang, über seinen Beginn nachzudenken, beachtet, daß sie eine Frau genommen haben. Ruhm und Reichtum hätte auch einMannsbild hergegeben. Aber Schönheit? Ein Volk, das um die Schönheit kämpft! – Paris selbst war, widerwillig, schien es, auf den Marktplatz gekommen und hatte den Namen der schönen Helena dem Volke hingeworfen. Die Leute merkten nicht, daß er nicht bei der Sache war. Ich merkte es. Warum sprichst du so kalt von deiner warmen Frau? hab ich ihn gefragt. Meine warme Frau? war seine höhnische Antwort. Komm zu dir, Schwester. Mensch: Es gibt sie nicht.
     

Da riß es mir die Arme hoch, noch eh ich wußte: Ja, ich glaubte ihm. Seit langem war mir so zumute, angstverzehrt. Ein Anfall, dachte ich noch nüchtern, hörte aber diese Stimme schon, wehe wehe wehe. Ich weiß nicht: Schrie ichs laut, hab ich es nur geflüstert: Wir sind verloren. Weh, wir sind verloren.
    Was kommen mußte, kannt ich schon, den festen Achselgriff, die Männerhände, die mich packten, das Klirren von Metall auf Metall, der Geruch von Schweiß und Leder. Es war ein Tag wie dieser, Herbststurm, schubweise von der See her, der Wolken über den tiefblauen Himmel trieb, unter den Füßen die Steine, genauso verlegt wie hier in Mykenae, Häuserwände, Gesichter, dann dickere Mauern, kaum noch Menschen, als wir dem Palast uns näherten. Wie hier. Ich erfuhr, wie eine Gefangene die Zitadelle von Troia sieht, befahl mir, es nicht zu vergessen. Vergaß es nicht, doch hab ich an den Weg unendlich lange nicht mehr gedacht. Warum. Mag sein, der halbbewußten Schläue wegen, deren ich mich schämte. Denn warum schrie ich, wenn ich schrie: Wir sind verloren!, warum nicht: Troer, es gibt keine Helena! Ich weiß es, wußte es auch damals schon: Der Eumelos in mir verbot es mir. Ihn, der mich imPalast erwartete, ihn schrie ich an: Es gibt keine Helena!, aber er wußt es ja. Dem Volk hätt ich es sagen müssen. Das hieß: Ich, Seherin, gehörte zum Palast. Und Eumelos war sich ganz klar darüber. Daß sein Gesicht auch Spott ausdrücken konnte und Geringschätzung, das machte mich ganz rasend. Seinetwegen, den ich haßte, und des Vaters wegen, den ich liebte, hatte ich vermieden, das Staatsgeheimnis laut hinauszuschrein. Das Gran von Berechnung in meiner Selbstentäußerung. Eumelos durchschaute mich. Der Vater nicht. König Priamos tat sich selber leid. Diese verwickelten politischen Zustände, und nun auch noch ich! Er schickte die Wächter weg, was mutig von ihm war. Wenn ich so weitermache, sagte er dann, müde, bleibe ihm nichts, als mich einzusperrn. Da dachte in mir etwas: Jetzt noch nicht. – Was ich denn wolle, um des Himmels willen. Also schön. Über die vertrackte Helena-Geschichte hätte man früher mit mir reden sollen. Gut gut, sie war nicht hier. Der König von Ägypten hatte sie dem Paris, diesem dummen Jungen, abgenommen. Bloß, das wisse ja ein jeder im Palast, warum nicht ich? Und was nun weiter? Wie kommen wir da wieder raus, ohne Gesichtsverlust.
    Vater, sagte ich, inständig, wie ich nie wieder zu ihm sprach. Ein Krieg, um ein Phantom geführt, kann nur verlorengehn.
    Warum? Allen Ernstes fragte der König mich: Warum. Man muß nur trachten, sagte er, daß dem Heer der Glaube an das Phantom erhalten bleibt. Wieso überhaupt Krieg. Gleich immer diese großen Worte. Wir, denk ich, werden angegriffen werden,

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