Kassandra
und wir, denk ich, setzen uns zur Wehr. Die Griechen rennen sichden Schädel ein und ziehen sich alsbald zurück. Sie werden sich doch nicht um eine Frau, und sei sie noch so schön, was ich nicht glaub, verbluten.
Und warum denn nicht! Das rief nun ich. Gesetzt, sie glaubten, Helena sei bei uns: Wenn sie so geartet wären, daß sie die Kränkung eines königlichen Mannes durch eine Frau, schön oder häßlich, nie verwinden könnten. Dabei dacht ich an Panthoos, der, seit ich ihn zurückgewiesen hatte, mich zu hassen schien. Gesetzt sie waren alle so?
Red keinen Unsinn, sagte Priamos. Die wollen unser Gold. Und freien Zugang zu den Dardanellen. – So verhandle drum! schlug ich ihm vor. – Das hätte noch gefehlt. Verhandeln um unser unveräußerliches Eigentum und Recht! – Ich fing an zu spüren, daß der König gegen alle Gründe, die dem Krieg entgegenstanden, schon erblindet war, und was ihn blind und taub gemacht, das war der Satz der Truppenführer: Wir gewinnen. Vater, bat ich ihn, nimm ihnen wenigstens den Vorwand, Helena. Sie ist, hier oder in Ägypten, nicht einen einzigen erschlagenen Troianer wert. Dies sage den Gesandten dieses Menelaos, gib ihnen Gastgeschenke und laß sie in Frieden ziehn. – Du mußt nicht bei Verstand sein, Kind, sagte, ehrlich empört, der König. Verstehst du gar nichts mehr? Es geht doch um die Ehre unsres Hauses.
Darum, beteuerte ich ihm, ging es auch mir. Vernagelt war ich. Dachte, sie und ich, wir wollten doch dasselbe. Und welche Freiheit dann das erste Nein: Nein, ich will etwas andres. Doch damals nahm, mit Recht, der König mich beim Wort. Kind, sagte er, zog mich zu sich heran, ich atmete den Duft, den ich so liebte.Kind. Wer jetzt nicht zu uns hält, arbeitet gegen uns. Da versprach ich ihm, das Wissen um die schöne Helena geheimzuhalten, und ging unangefochten von ihm weg. Die Wächter auf den Gängen standen unbeweglich, Eumelos verneigte sich, als ich ihn passierte. Bravo, Kassandra, sagte im Tempel Panthoos zu mir. Nun haßte ich ihn auch. Es ist zu schwer, sich selbst zu hassen. Viel Haß und unterdrücktes Wissen war in Troia, ehe der Feind, der Grieche, all unser Übelwollen auf sich zog und uns gegen ihn, zunächst, zusammenschloß.
Den Winter über wurde ich teilnahmslos und versank in Schweigen. Da ich das Wichtigste nicht sagen durfte, fiel mir nichts mehr ein. Die Eltern, die mich wohl im Auge hatten, sprachen unverbindlich miteinander und mit mir. Briseis und Troilos, die sich weiter um mein Mitgefühl bemühten, verstanden meine Stumpfheit nicht. Nichts von Arisbe. Nichts von Aineias. Die stumme Marpessa. Allseits begann man mich wohl aufzugeben, das unvermeidliche Los dessen, der sich selbst aufgibt. Im Frühjahr, wie erwartet, begann dann der Krieg.
Krieg durfte er nicht heißen. Die Sprachregelung lautete, zutreffend: Überfall. Auf den wir sonderbarerweise gar nicht vorbereitet waren. Da wir nicht wußten, was wir wollten, haben wir uns nicht bemüht, der Griechen Absicht wirklich zu ergründen. Ich sage »wir«, seit vielen Jahren wieder »wir«, im Unglück hab ich meine Eltern wieder angenommen. Damals, als die griechische Flotte gegen den Horizont aufstieg, ein gräßlicher Anblick. Als unsre Herzen sanken. Als unsre jungen Männer, nur durch ihren Lederschild geschützt, lachend dem Feind entgegengingen, in den sicheren Tod, da habe ich sie alle, die das verantworteten,inbrünstig verflucht. Ein Verteidigungsring! Eine vorgeschobne Linie hinter einer Schutzwehr! Gräben! Nichts von alledem. Wahrhaftig, ich war kein Stratege, aber jeder konnte sehn, wie unsre Krieger auf dem flachen Uferrand dem Feinde zugetrieben wurden, damit er sie niedermetzle. Das Bild bin ich nie wieder losgeworden.
Und dann, am ersten Tag, mein Bruder Troilos.
Immer hab ich mich bemüht, die Art, wie er zu Tode kam, nicht zu behalten. Und doch hat nichts aus diesem ganzen Krieg sich schärfer eingeritzt. Jetzt noch, kurz eh ich selbst geschlachtet werde und die Angst die Angst die Angst mich zwingt zu denken – jetzt noch weiß ich jede verfluchte Einzelheit vom Tod des Bruders Troilos und hätte keinen andern Toten in diesem ganzen Krieg gebraucht. Stolz, königstreu, verwegen, Hektors Schwur vertrauend, kein Grieche werde unsern Strand betreten, blieb ich im Apollon-Tempel vor der Stadt, von dem aus man bis hin zur Küste blickte. »Blickte« denk ich, doch es sollte heißen: »Blickt«. Der Tempel ist verschont. Kein Grieche vergriff sich an Apollons
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