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Kassandra

Kassandra

Titel: Kassandra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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seinen Liebesakten – aber so sollte ich, was er an mir ausübte, nicht nennen, mit Liebe hatte es nichts zu tun – verspürte ich einen neuen Zug von Unterwürfigkeit, die ich nicht wollte, und er gab mir zu, vor meiner Krankheit hätte ich ihn nicht gereizt wie jetzt. Ich hätte mich verändert. Aineias mied mich. Klar, gab er später zu. Du hattest dich verändert.
    Der abwesende Paris wurde in Gesängen gefeiert. Die Angst lag in mir auf der Lauer. Nicht nur in mir. Ungebeten deutete ich dem König einen Traum, den er bei der Tafel erzählt hatte: Zwei Drachen, die miteinander kämpften; der eine trug einen goldgehämmerten Brustpanzer, der andre führte eine scharf geschliffene Lanze. Der eine also unverletzlich und unbewaffnet, der andrebewaffnet und haßerfüllt, jedoch verletzlich. Sie kämpften ewig.
    Du liegst, sagte ich dem Vater, mit dir selbst im Widerstreit. Hältst dich selbst in Schach. Lähmst dich.
    Wovon redest du, Priesterin, erwiderte Priamos förmlich. Längst hat mir Panthoos den Traum gedeutet: Der goldgepanzerte Drache bin natürlich ich, der König. Bewaffnen muß ich mich, um meinen tückischen und schwerbewaffneten Feind zu überwältigen. Den Waffenschmieden hab ich schon befohlen, ihre Produktion zu steigern.
    Panthoos! rief ich im Tempel. Und? sagte der. Es sind doch alles Bestien, Kassandra. Halb Bestien, halb Kinder. Sie werden ihren Begierden folgen, auch ohne uns. Muß man sich denen in den Weg stelln? Daß sie uns niedertrampeln? Nein. Ich habe mich entschieden.
    Entschieden hast du dich, die Bestie in dir selbst zu füttern, sie in dir aufzustacheln. Sein grausam maskenhaftes Lächeln. Aber was wußte ich von diesem Mann.
    Wann Krieg beginnt, das kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg. Falls es da Regeln gäbe, müßte man sie weitersagen. In Ton, in Stein eingraben, überliefern. Was stünde da. Da stünde, unter andern Sätzen: Laßt euch nicht von den Eignen täuschen.
    Paris, als er nach Monaten doch noch kam, merkwürdigerweise auf einem ägyptischen Schiff, brachte eine tief verschleierte Person von Bord. Das Volk, wie nun üblich hinter einer Sicherheitskette von Eumelos-Leuten zurückgedrängt, verstummte atemlos. In jedem einzelnen erschien das Bild der schönsten Frau, so strahlend, daß sie ihn, wenn er sie sehen könnte, blenden würde. Schüchtern, dann begeistert kamenSprechchöre auf: He-le-na. He-le-na. Helena zeigte sich nicht. Sie kam auch nicht zur Festtafel. Sie war von der langen Seereise erschöpft. Paris, ein anderer, überbrachte vom König von Ägypten raffinierte Gastgeschenke, erzählte Wunderdinge. Er redete und redete, ausschweifend, arabesk, mit Schlenkern, die er wohl für witzig hielt. Er hatte viele Lacher, er war ein Mann geworden. Ich mußt ihn immer ansehn. Seine Augen kriegt ich nicht zu fassen. Woher kam der schiefe Zug in sein schönes Gesicht, welche Schärfe hatte seine einst weichen Züge geätzt.
    Von den Straßen her drang ein Ton in den Palast, den wir vorher nie gehört hatten, vergleichbar dem bedrohlichen Summen eines Bienenstocks, dessen Volk sich zum Abflug sammelt. Die Vorstellung, im Palast ihres Königs weile die schöne Helena, verdrehte den Leuten die Köpfe. Ich verweigerte mich in dieser Nacht dem Panthoos. Wütend wollte er mich gewaltsam nehmen. Ich rief nach Parthena der Amme, die gar nicht in der Nähe war. Panthoos ging, verzerrten Gesichts stieß er wüste Beschimpfungen aus. Das rohe Fleisch unter der Maske. Die Trauer, die mich manchmal schwarz aus der Sonne heraus überfiel, suchte ich mir zu verbergen.
    Jede Faser in mir verschloß sich der Einsicht, daß keine schöne Helena in Troia war. Als die anderen Palastbewohner zu erkennen gaben, daß sie begriffen hatten. Als ich die liebliche schönhalsige Oinone schon zum zweitenmal im Morgengrauen vor des Paris Türe traf. Als der Legendenschwarm um die unsichtbare schöne Frau des Paris verlegen in sich zusammenfiel. Als alle die Blicke senkten, wenn ich, nur ich noch, immer wieder wie unter Zwang Helenas Namen nannte, michsogar erbot, die immer noch Ermüdete zu pflegen, und zurückgewiesen wurde – selbst da wollt ich das Undenkbare noch nicht denken. Wirklich, an dir konnte man verzweifeln, hat Arisbe mir gesagt. Ich griff nach jedem Strohhalm, und wer wollte eine Abordnung des Menelaos, die in starken Worten ihre Königin zurückverlangte, einen Strohhalm nennen. Daß sie sie wiederhaben wollten, bewies mir, daß sie hier sein mußte. Mein Gefühl

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