Kassandra
verachteten, bei der Frau gelassen, war seiner Spürnase gefolgt und fand Achill in einer abgelegnen Kammer mit einem andern Jüngling auf dem Bett. Und da der erfahrene vorausschauende Odysseus ja sich selbst, indem er sich närrisch stellte, dem Truppenaufgebot hatte entziehn wollen – wie! Das wüßten wir nicht? Ja was wüßten wir von unsern Feinden überhaupt! –, da er nicht dulden wollte, daß ein anderer davonkam, wo er bluten mußte, habe er also den Achill buchstäblich am Schlafittchen in den Krieg geschleppt. Es mochte sein, daß er das schon bereute. Achill stellte nämlich allen nach: Jünglingen, nach denen ihn wirklich verlangte, und Mädchen, als Beweis, daß er wie alle war. Im Kampf ein Unhold, damit jeder sah, daß er nicht feige war, wußte er nichts mit sich anzufangen nach der Schlacht. Und diesem hat er, der Seher Kalchas, später seine Tochter überlassen müssen. Vielleicht hat er sich vorgemacht, nur der Wüsteste könne unter Wüstlingen eine Frau beschützen. Ich sah Briseis wieder, als wir nach Troias Fall durch das Lager der Griechen getrieben wurden. Ich glaubte, alles Grauen, das ein Mensch sehen kann, hätt ich gesehn. Ich weiß, was ich sage: Alles übertraf der Briseis Gesicht.
Daß er, Achill das Vieh, tausend Tode gehabt hätte. Daß ich bei einem jeden dabei gewesen wäre.
Die Erde möge seine Asche ausspein.
Ich bin sehr müde.
Als wir an jenem fernen Tag von den Griechen zurückkamen, ohne Briseis, war ich nach meinem Gefühl sehr lange weggewesen, und sehr, sehr weit. Da lag, hinter ihrer hohen Mauer, mein Troia, die geliebte Stadt. Das Angriffsziel. Die Beute. Ein Gott hatte mir meine Augen vertauscht. Ich sah mit einemmal alle Schwächen, welche den Griechen nützen konnten. Ich schwor mir, nie, niemals sollte einer wie Achill durch unsre Straßen gehn. Mehr Troerin bin ich, bis auf diesen allerletzten Tag, an keinem Tage meines Lebens je gewesen. Den anderen, ich sah es, ging es ebenso wie mir. So kamen wir nach Hause, ans Skäische Tor. Da stellte uns die Wache. Man brachte uns im Torhaus in einen kleinen, finsteren und stinkenden Raum. Leute des Eumelos diktierten einem verlegnen, wichtigtuerischen Schreiber unsre Namen, die wir, auch ich und meine Brüder, die ein jeder kannte, ihnen nennen mußten. Mein Auflachen wurde mir streng verwiesen. Wo wir gewesen seien. So, beim Feind. Und zu welchem Zweck.
Da glaubte ich zu träumen. Die Männer, auch meine Brüder, Söhne des Königs, wurden durchsucht, Tasche um Tasche, Naht für Naht. Dem ersten, der mich anfaßte, hielt ich das blanke Messer auf die Brust, das ich, um dem Feind nicht ausgesetzt zu sein, für alle Fälle bei mir trug. Dort, sagte ich bitter, dort hab ich es nicht gebraucht.
Was ich denn damit sagen wolle? Verglich ich denn den Feind mit einem königstreuen Troer? – Der Mensch, der so mit mir zu sprechen wagte, schlecht im Fleisch, gedunsen, mit der Aussicht, fett zu werden, den kannt ich doch. Der hatte doch schon mal versucht, michanzufassen. Ich grübelte und sagte kalt: Wer mich berührt, der geht ins Messer. Der Mensch zog sich, halb kriechend, wie ein Hund zurück. Ach ja, ich kannte ihn. Der Erste Schreiber meines Vaters. Der – ein Mann des Eumelos? Wie stand es denn um meine Stadt. Wie stand es denn um meine Troer, daß sie uns, das Trüppchen, das man durch ihre Gassen trieb, nicht sahn? Einfach nicht sehen, das ist einfach, sah ich. Ihre Augen fand ich nicht. Kalt musterte ich ihre Hinterköpfe. Waren die immer schon so feig gewesen. Ein Volk mit feigen Hinterköpfen, gab es das. Die Frage stellte ich dem Eumelos, der uns, ein Zufall schiens, am Eingang des Palasts erwartete. Ich irritierte ihn. Er herrschte seinen Stellvertreter an: Aber die doch nicht! Man muß doch Unterschiede machen können. Nicht jeder, der Briseis die Verräterin gekannt hat, etwa gar mit ihr befreundet war, ist uns verdächtig. Was aber, wenn schlicht königstreu ist, was Kassandra, übertreibend, wie wir sie ja kennen, feige nennen will? Selbstredend seid ihr frei.
Priamos erklärte mir, im Krieg sei alles, was im Frieden gelten würde, außer Kraft gesetzt. Briseis schade es doch nicht, was hier, wohin sie niemals wieder kommen würde, über sie geredet werde. Uns nütze es. – Inwiefern. – Insofern sich an ihrem Fall die Geister schieden. – Um Himmels willen. Was für Geister scheiden sich an einem Fall, den es nicht gibt. Der eigens zu dem Zweck erfunden wurde. – Und wenn schon. Was öffentlich
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