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Kassandra

Kassandra

Titel: Kassandra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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ertrinkst oder zu Hause erschlagen wirst?
    Wenn Klytaimnestra war, wie ich sie mir vorstellte, konnte sie mit diesem Nichts den Thron nicht teilen. – Sie ist, wie ich sie mir vorstellte. Dazu noch haßerfüllt. Als er sie noch beherrschte, mag es der Schwächling, wie sie es alle tun, wüst genug mit ihr getrieben haben. Da ich nicht nur die Männer, sondern, was schwieriger ist, auch die Frauen kenne, weiß ich, mich kann die Königin nicht schonen. Mit Blicken hat sie es mir vorhin gesagt.
    Mein Haß kam mir abhanden, wann? Er fehlt mir doch, mein praller saftiger Haß. Ein Name, ich weiß es, könnte ihn wecken, aber ich laß den Namen lieber jetzt noch ungedacht. Wenn ich das könnte. Wenn ich den Namen tilgen könnte, nicht nur aus meinem, aus dem Gedächtnis aller Menschen, die am Leben bleiben. Wenn ich ihn ausbrennen könnte aus unsren Köpfen – ich hätte nicht umsonst gelebt. Achill.
    Die Mutter hätte mir jetzt nicht einfallen dürfen, Hekabe, auf anderen Schiffen zu anderen Ufern mit Odysseus unterwegs. Wer kann für seine Einfälle. Ihr irres Gesicht, als sie sie wegrissen. Ihr Mund. Der gräßlichste Fluch, der, seit es Menschen gibt, ausgestoßen wurde, gilt den Griechen, und meine Mutter Hekabe hat ihn über sie verhängt. Sie wird recht behalten, man mußnur warten können. Ihr Fluch werde sich erfüllen, rief ich ihr zu. Da war mein Name, ein Triumphschrei, ihr letztes Wort. Als ich das Schiff betrat, war alles in mir stumm.
    Nachts hat der Sturm sich, als ich ihn »beschworen«, bald gelegt, nicht nur die Mitgefangenen, auch die Griechen, selbst die rohen gierigen Ruderknechte rückten scheu und ehrerbietig von mir ab. Dem Agamemnon sagt ich, ich verlöre meine Kraft, wenn er mich in sein Bett zwänge. Er ließ mich. Seine Kraft war lange schon dahin, das Mädchen, das das letzte Jahr mit ihm im Zelt gewohnt, verriet es mir. Für diesen Fall – Verrat seines unsagbaren Geheimnisses – hatte er ihr angedroht, sie unter Vorwand von den Truppen steinigen zu lassen. Da begriff ich auf einmal seine ausgesuchte Grausamkeit im Kampf, wie ich begriff, daß er um so tiefer verstummte, je näher wir, von Nauplion her, auf der langen staubigen Straße durch die Ebene über Argos schließlich seiner Zitadelle kamen: Mykenae. Zu seinem Weib, dem er nie Grund gegeben, mit ihm Erbarmen zu haben, falls er Schwäche zeigte. Wer weiß, aus welcher Not sie ihn, wenn sie ihn mordet, reißt.
    O daß sie nicht zu leben verstehn. Daß dies das wirkliche Unglück, die eigentlich tödliche Gefahr ist – nur ganz allmählich hab ich es verstanden. Ich Seherin! Priamostochter. Wie lange blind gegen das Naheliegende: daß ich zu wählen hatte zwischen meiner Herkunft und dem Amt. Wie lange voll Furcht vor dem Schauder, den ich, wenn ich unbedingt war, bei meinen Leuten wachrufen mußte. Der ist mir nun über das Meer vorausgeeilt. Die Leute hier – naiv, wenn ich sie mit den Troern vergleiche; sie haben den Krieg nicht erlebt – zeigenihre Gefühle, betasten den Wagen; die fremden Gegenstände; Beutewaffen; auch die Pferde. Mich nicht. Der Wagenlenker, der sich seiner Landsleute zu schämen scheint, hat ihnen meinen Namen genannt. Da sah ich, was ich gewöhnt bin: ihren Schauder. Die Besten, sagt der Wagenlenker, seien es allemal nicht, die zu Hause blieben. Die Frauen nähern sich wieder. Ungeniert schätzen sie mich ab, spähen unter das Tuch, das ich mir über Kopf und Schultern gezogen habe. Sie streiten sich, ob ich schön sei; die Älteren behaupten es, die Jüngeren leugnen es ab.
    Schön? Ich, die Schreckliche. Ich, die wollte, daß Troia untergeht.
    Das Gerücht, das Meere überwindet, wird mir auch in der Zeit vorauseilen. Panthoos der Grieche wird recht behalten. Aber du lügst ja, meine Liebe, sagte er mir, wenn wir am Schrein des Apollon die vorgeschriebenen Handgriffe taten, die Zeremonie vorzubereiten: Du lügst, wenn du uns allen den Untergang prophezeist. Aus unserm Untergang holst du dir, indem du ihn verkündest, deine Dauer. Die brauchst du dringlicher als das bißchen Nestglück jetzt. Dein Name wird bleiben. Und das weißt du auch.
    Zum zweitenmal konnte ich ihm nicht ins Gesicht schlagen. Panthoos war eifersüchtig, und er war boshaft und scharfzüngig. Hatte er auch recht? Jedenfalls lehrte er mich das Unerhörte denken: Die Welt könnte nach unserem Untergange weitergehn. Ich zeigte ihm nicht, wie es mich erschütterte. Warum hatte ich nur die Vorstellung zugelassen, mit unserm Geschlecht

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