Kaste der Unsterblichen
auf den Weg.
Waylock ging ins Laboratorium, in dem eine ziemliche Unordnung herrschte. Er suchte nach der orangefarbenen Flasche, schüttete ihren Inhalt in den Ausguß und zerstörte den Behälter. Dann kehrte er ins Vorzimmer zurück und nahm an Caddigans Schreibtisch Platz.
Aufgrund der Ereignisse dieses Morgens und einigen anderen Angelegenheiten hatte er das Gefühl, in einem Sumpf aus Tragödien und bösen Ahnungen zu stecken. Die Jacynth Martin? Was war mit ihr? Sie hatten Kharnevall durchstreift … Mehr wußte er nicht.
Er stand wieder auf, schritt auf und ab und versuchte, seine Verzagtheit abzustreifen. Er fragte sich, aus welchem Grund er sich schuldig fühlen sollte. Das Leben in Clarges bedeutete, sich selbst der Nächste zu sein. Wenn jemand in Keil aufstieg, dann verkürzte er damit die Lebensspannen aller in Schwarm Registrierten um ein paar Sekunden. Gavin Waylock sah das Leben als die harte Auseinandersetzung, die es war. Er agierte nach seinen eigenen Wettbewerbsprinzipien. Und er sagte sich, dies sei sein gutes Recht: Zumindest soviel schuldete ihm die Gesellschaft. Der Grayven Warlock hatte bereits alle Hindernisse überwunden, die Einstufung in Amarant stand ihm also rechtmäßig zu. Und das erlaubte ihm den Einsatz aller Mittel, um diesen Status wiederzuerlangen.
Vor der Tür ertönten Schritte. Basil Thinkoup schlich mit hängenden Schultern ins Zimmer. »Ich bin entlassen«, sagte er. »Habe nichts mehr zu schaffen mit dem Palliatorium von Balliasse. Sie meinten, ich könne mich glücklich schätzen, den Assassinen entronnen zu sein.«
5
Die gewaltsame Beförderung von Unterweiser Rufus Benberry und Seth Caddigan war eine Sensation für die Bürger von Clarges. Gavin Waylock wurde wegen seiner Geistesgegenwart und »beispiellosen Tapferkeit« bejubelt. Basil Thinkoup wurde als »stupider Mechanist« tituliert, der »die seiner Barmherzigkeit anvertrauten, bedauernswerten Kattos als Sprungbrett zum Phylenaufstieg mißbrauchte.«
Als Basil Gavin Waylock schließlich Lebwohl sagte, war er ein gebrochener Mann. Seine Wangen waren blaß und eingefallen, und in den Augen glänzten mühsam zurückgehaltene Tränen. Er wußte nicht ein noch aus. »Was kann nur schiefgegangen sein?« platzte es immer wieder aus ihm heraus. In seinen Schlußfolgerungen müsse ein grundlegender Fehler stecken, vermutete er. »Vielleicht hat es das Schicksal so bestimmt. Vielleicht ist es der Wille des Großen Guten Prinzips, daß wir am manisch-katatonischen Syndrom leiden, als Dämpfung unseres Hochmuts.«
»Was haben Sie jetzt vor?« erkundigte sich Waylock.
»Ich werde mich einem anderen Tätigkeitsbereich zuwenden. Die Psychotherapie war ganz offensichtlich nicht meine Stärke. Ich habe eine andere Beschäftigung im Auge, und wenn ich meine Sache gut mache, könnte ich vielleicht …« Er hielt plötzlich inne. »Aber das ist noch Zukunftsmusik.«
»Ich wünsche Ihnen alles Gute«, sagte Waylock.
»Ich Ihnen ebenfalls, Gavin.«
NEUN
1
Der neue Direktor des Palliatoriums Balliasse war Unterweiser Leon Gradella, ein Fremder in Balliasse und von einem der Vorortinstitute hierher versetzt. Er war ein schlecht proportionierter Mann mit breitem Torso und spindeldürren Armen und Beinen. Der Kopf glich einem gut gepflegten Ballon, und die Augen blickten klug und durchdringend.
Gradella gab seine Absicht kund, mit jedem Belegschaftsmitglied eine Unterredung in Hinblick auf mögliche Fehlbesetzungen von Arbeitsstellen zu führen, und er begann sofort mit den Anstaltspsychiatern.
Niemand kam mit einem Lächeln aus diesen Gesprächsrunden, und keiner der Betroffenen gab darüber Auskunft, was geschehen war. Am späten Nachmittag des zweiten Tages bestellte Gradella Waylock zu sich. Waylock trat in sein Büro, und der Direktor bedeutete ihm, Platz zu nehmen. Ohne ein Wort zu sagen, schob er den Filmstreifen, bei dem es sich um Waylocks Personalakte handelte, in einen Betrachter.
»Gavin Waylock, Schwarm.« Gradella las weiter und sah dann auf. Die kleinen, mahagonifarbenen Augen musterten Waylocks Gesicht. »Sie sind erst seit recht kurzer Zeit hier, Waylock.«
»Richtig.«
»Und Sie sind als Krankenwärter angestellt.«
»Richtig.«
»Warum haben Sie Ihr Bewerbungsformular nicht vollständig ausgefüllt?«
»Ich hatte die Absicht, meine Arbeit für sich sprechen zu lassen.«
»Manchmal gelingt es jemandem, sich durch Bluffs Steigung zu erkämpfen. So etwas wird hier nicht vorkommen.
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