Kaste der Unsterblichen
glaube, das ist zu vage. Dieser Zeitraum könnte eine Sekunde umfassen, eine Stunde, einen Tag, einen Monat. Sie sollten mich nach meinen Aktivitäten zum genauen Zeitpunkt ihres Hinscheidens fragen. Das, so glaube ich, reicht für Ihre Zwecke völlig aus.«
»Der genaue Zeitpunkt ist nicht exakt bestimmt, mein Herr. Deshalb müssen Sie uns einen gewissen Spielraum zugestehen.«
»Wenn ich schuldig bin«, argumentierte Waylock, »dann wäre ich über den genauen Zeitpunkt des Verbrechens unterrichtet. Bin ich unschuldig, so ist es nicht zweckdienlich, in meine Privatsphäre einzudringen.«
»Aber mein Herr«, gab der Inquisitor lächelnd zurück, »wir sind Beamte und somit auf Diskretion vereidigt. In Ihrem Privatleben gibt es doch sicher nichts, das Sie zu verbergen wünschen?«
Waylock wandte sich an die Tribune. »Sie haben meine Bedingung gehört. Wollen Sie dementsprechend meine Interessen wahren?«
Die Tribune unterstützten ihn. Einer von ihnen sagte: »Wir werden nur Fragen zulassen, die jeweils die drei Minuten vor und nach dem Zeitpunkt des Hinscheidens Der Jacynth Martin betreffen. Das ist der übliche Spielraum.«
»In Ordnung«, sagte Waylock. »Dann können Sie beginnen.«
Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Die Kümmerin brachte sofort ein Paar gepolsterte Schädelkontakte herbei und preßte sie ihm an die Schläfen. Irgend etwas zischte, und dort am Hals, wo die Frau einen Hypoinjektor angesetzt hatte, verspürte er ein feuchtes Prickeln.
Stille hüllte das Zimmer ein. Der Inquisitor schritt gereizt auf und ab; die Tribune saßen in einer Reihe und beobachteten mit stumpfer Aufmerksamkeit.
Zwei Minuten vergingen, dann betätigte der Inquisitor eine Taste. Die Schädelkontakte summten und sirrten. Auf einem Schirm vor Waylocks Augen formten sich Leuchtmuster. Sie flossen ineinander und bildeten Spiralen, die alle einem gemeinsamen Zentrum zuzustreben schienen.
»Konzentrieren Sie sich auf die Lichter«, sagte der Inquisitor. »Entspannen Sie sich … mehr ist nicht notwendig. Sie müssen sich nur entspannen … es geht rasch vorbei.«
Die Lichter zogen sich zu einem hell glänzenden Leuchtknoten zusammen und schrumpften dann zu einem winzigen, weißen Fleck. Waylocks Bewußtsein erlosch zusammen mit diesem Punkt, zog sich in die von ihm veranschaulichte Ferne zurück und schlummerte dort. Ganz in der Ferne vernahm er ein Murmeln, das Kommen und Gehen von Stimmen, das Zittern verschwommener Bewegungen am Rande seines Wahrnehmungsbereiches. Der Lichtpunkt machte einen kleinen Satz nach vorn, dehnte sich aus, wuchs in die Breite, nahm wieder die Gestalt des großen Musters an und gab Waylocks Geist frei.
Er war wieder bei Bewußtsein. Der Inquisitor stand an seiner Seite und musterte ihn mit mürrischem Gesicht. Offensichtlich war die Bewußtseinssondierung unergiebig geblieben. Die Tribune hatten den Blick von ihm abgewandt und sahen in die Ferne – sie vertrauten ihrem Wissen, durch kompromißlose Redlichkeit Steigung zu erlangen. Hinter den Tribunen stand Die Jacynth Martin.
Waylock erhob sich halb von seinem Stuhl und zeigte ärgerlich mit dem Finger auf sie. »Warum ist diese Frau hereingelassen worden? Sie haben sich mir gegenüber eines schweren Unrechts schuldig gemacht. Ich werde Genugtuung verlangen, und niemand von Ihnen kommt ungeschoren davon!«
Der Obertribun John Foster hob müde die Hand. »Die Anwesenheit dieser Frau ist ungewöhnlich und taktlos. Es handelt sich jedoch nicht um eine Verletzung der Vorschriften.«
»Warum führen Sie die Bewußtseinssondierungen nicht auf offener Straße durch?« fragte Waylock bitter. »Dann können alle Vorbeikommenden ihre Neugier befriedigen.«
»Sie mißverstehen die Situation. Die Jacynth ist anwesend, weil sie das Recht dazu hat. Sie ist selbst ein Assassine. Erst kürzlich angeworben, wenn ich das hinzufügen darf.«
Waylock drehte sich zur Seite und starrte sie an. Die Jacynth nickte und lächelte kühl. »Ja«, sagte sie. »Ich untersuche meine eigene Beförderung. Irgendeine gräßliche Kreatur hat mich zum Opfer des schlimmsten Verbrechens gemacht. Ich will unbedingt in Erfahrung bringen, wer dahintersteckt.«
Waylock wandte sich ab. »Ihre Voreingenommenheit erscheint mir pathologisch und unnatürlich, wenn ich so sagen darf.«
»Mag sein, aber ich habe nicht die Absicht, sie abzulegen.«
»Haben Ihre Untersuchungen irgendwelche Fortschritte gemacht?«
»Es hatte zunächst den Anschein – bis wir auf Ihr seltsam
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