Katakomben (van den Berg)
Bankkonto war längst hoffnungslos überzogen, bei
seinen Freunden stand er mittlerweile mit 20.000 in der Kreide.
Als
er auf dem Hippodrome eintraf, pfiff ein rauer Wind über die Bahn und es
nieselte. Der graue Strickpullover und die dünne Lederjacke waren eindeutig zu
dünn für die Jahreszeit. Aber er bereute keine Sekunde, den Trip an die Küste
gemacht zu haben. Er besorgte sich Kaffee, ein Stück Käsekuchen und eine
Rennzeitung, in der alle Starter aufgelistet waren. Van den Berg ging auf die Bahn,
wann immer er konnte. Live dabei zu sein, war eine viel stärkere Droge, als vor
den Monitoren in den miefigen Wettbüros zu sitzen oder zu Hause vor dem
Rechner. Die Pferde wechselten ständig, aber die Jockeys kannte er fast alle.
Er studierte, bei welchen Bodenverhältnissen die Pferde ihre beste Form
zeigten. „Maison“ schien ein Spezialist für schwieriges Geläuf zu sein. Er
sehnte ein Erfolgserlebnis herbei, entschied sich gegen eine Zweier-Wette und
setzte seinen Favoriten mit 50 Euro auf Sieg. Es waren noch zehn Minuten Zeit
bis zum Rennen. Van den Berg setzte sich in die Nähe der Ziellinie zwischen
zwei elegant gekleidete Damen mit großen Hüten. Er dachte nach. Wenn wir den
Spanier folterten, bekämen wir schon raus, was er weiß. Ihm lief ein kalter Schauer
über den Rücken, als er sich bei seinen radikalen Gedanken ertappte. Der
Kommissar war eigentlich ein Gegner brutaler Verhörmethoden, aber ihm war klar,
dass sie auf normalem Wege nichts aus Jorge herausbekämen.
Der
Bahnsprecher kündigte den baldigen Start des Rennens an. Van den Bergs Hände
wurden feucht, nervös warf er einen Blick in sein Programmheft. Sein Pferd trug
die Nummer acht, der französische Jockey war gut an seiner schwarzen Jacke mit
den goldenen Ärmeln zu erkennen. Das Rennen startete. Maison kam ganz schlecht
aus den Startboxen, lief als Vorletzter um die erste Kurve. Van den Berg schrie
so laut er konnte: „Maison, Maison!“ Die feinen Damen neben ihm schauten
irritiert, als sie in sein rotes fanatisches Gesicht blickten. Der Kommissar
war kurz davor, seinen Wettschein zu zerreißen, aber auf der Zielgeraden kam
Maison in Fahrt. Der Jockey mit den goldenen Ärmeln trieb sein Pferd mit dem vollem
Einsatz seiner Beine und der Peitsche an. Eine Kopflänge lag Maison nur noch
hinter dem Führenden. „Jetzt komm schon“, schrie van den Berg wie von Sinnen.
Aber der Endspurt kam zu spät, der Konkurrent rettete sich mit kurzem Kopf als
Sieger ins Ziel. „Scheiße, so ein Dreck“, brüllte der Kommissar. Er war nahe
dran, völlig außer Kontrolle zu geraten, zerkleinerte seinen Wettschein und
fluchte auf Jockey und Pferd, die ihn so bitter enttäuscht hatten. Van den Berg
schlurfte zur Kaffeebude. Er hatte sich wieder beruhigt, als sein Telefon
schellte.
„Jorge
ist weg“, flüsterte Deflandre, der seltsam ruhig klang. Der Kommissar glaubte
erst, sich verhört zu haben. „Sag das noch mal!“ „Er ist weg, irgendwie ist es
ihm gelungen, die Wachen außer Gefecht zu setzen.“ „Ich glaube, ich werde bescheuert“,
antwortete van den Berg erregt. Seine Absicht, noch auf zwei weiteren Rennen zu
wetten, verwarf er im gleichen Augenblick, auch wenn es ihm schwerfiel. Fünf
Minuten nach dem Telefonat mit Deflandre saß er wieder in seinem MG.
Nicole
Vandereycken galt unter den Kollegen als ein Superweib. Sie war nicht nur
ungeheuer ehrgeizig in ihrem Job, sie sorgte dafür, dass auch ihr zweites Leben
nicht zu kurz kam. Nicole brauchte nicht viel Schlaf – fünf bis sechs Stunden
reichten ihr völlig. Es war kurz nach Mitternacht, als vor der In-Disko Fuse
eine zwanzig Meter lange Menschenschlange darauf wartete, eingelassen zu
werden. Nicole bewegte sich elegant an der Menge vorbei, niemand schien es ihr
übel zu nehmen, dass sie sich nicht hinten einreihte. Der finstere Türsteher
nickte Nicole kurz zu und setzte überraschend ein schwaches Lächeln auf, als
sie wie selbstverständlich an ihm vorbeistöckelte. Nicole hatte einen
feuerroten Lippenstift aufgelegt, die üppige Wimperntusche verlieh ihren braunen
Augen etwas Katzenhaftes. Das Rot ihres hautengen Kleides war exakt auf den
Farbton ihres Lippenstiftes abgestimmt. Der Rücken des Versace-Kostüms war
komplett ausgeschnitten, das Dekolleté so tief, dass es niemandem schwerfiel,
die Maße ihrer stattlichen Brüste abzuschätzen. In dieser Nacht stand ihr
Lieblings-DJ DEG am Plattenteller. Nicole ging ohne Umwege auf die Tanzfläche.
Es dauerte nur wenige
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