Katakomben (van den Berg)
um die elektronischen Augen zu
verstecken.
In
den Katakomben hatte der Jäger ein Überwachungssystem installiert, das kaum zu
überwinden war. Jedem der Mädchen wurde im Unterschenkel ein Funkchip implantiert, der Signale zu einem Workstation-PC
mit Multikernprozessor sendete. So waren die Mädchen jederzeit zu lokalisieren.
Die Chips waren auf Körpertemperatur programmiert. Jeder Versuch, den Chip aus
der Haut zu entfernen, löste ein ohrenbetäubendes Alarmsignal aus.
Der
Jäger sorgte dafür, dass die Mädchen regelmäßig auf Droge waren. Sie bekamen
große Mengen an MDMA verabreicht, wie es in Ecstasy-Pillen vorkommt. Der Jäger
wollte lächelnde Puppen kreieren mit einer warmherzigen Aura, und er wollte die
Mädchen emotional manipulieren. Ihren Verstand sollten sie ausschalten, selig
dahin vegetieren und ihm zu Diensten sein, wann immer er nach ihnen verlangte.
Ständig waren Aufseher in den Katakomben unterwegs, flächendeckend waren
Kameras installiert. Zu fliehen war so gut wie unmöglich. Der Fahrstuhl war mit
einer komplizierten Sicherheitstechnik ausgestattet. Seine Tür öffnete sich
nur, wenn der Scanner die Iris des Auges und den Daumenabdruck des Fahrgastes
erfolgreich abgetastet hatte. Es kam vor, dass die Wächter Mühe hatten, die
Katakomben zu verlassen. Wenn der Daumen nur leicht verschmutzt war, blieb der
Zugang zum Aufzug versperrt, ebenso, wenn man sich bei der Augenkontrolle nur
ein wenig bewegte.
Das
Kontrollsystem in den Katakomben war faschistisch. Es gab klare Regeln, was die
Mädchen tun durften und was nicht. Persönliche Gespräche waren verboten.
Niemand durfte den anderen seinen wirklichen Namen verraten oder über seine
Herkunft oder Interessen sprechen. Verstöße wurden damit bestraft, dass die
Mädchen von den anderen isoliert wurden.
Sie
lebten in einem goldenen Käfig. Wenn sie dem Jäger nicht zu Diensten sein
mussten, durften sie sich in den Katakomben frei bewegen.
Der
Jäger stieg in den Lift und dachte daran, dass Nummer 7 bald ihren 20.
Geburtstag feierte. Der Fünfjahresplan, den der Jäger bei der Einweihung
entworfen hatte, kam jetzt in die entscheidende Phase. Für drei Mädchen war die
Zeit bereits abgelaufen. Sie hatten ihre Pflicht und Schuldigkeit getan, es gab
keinen Grund, sie länger leben zu lassen. Jahrelang hatte der Jäger diesem
Zeitpunkt entgegengefiebert, wenn all seine Pläne zu einem wunderbaren Ende
kamen. Nun war die Zeit gekommen. Auch die anderen Mädchen, die im ersten Jahr
zu ihm gekommen waren, waren bald keine Teenager mehr, so wie die drei Mädchen,
die er in die Hölle geschickt hatte.
Er
hätte die Mädchen sowieso niemals gehen lassen können. Sie hatten keine Ahnung
von der Lage der Katakomben, aber sie konnten dennoch viel erzählen, von den
Wachleuten, von Hugo und vor allem über ihn. Er aber war ein Jäger ohne Identität
und er legte Wert darauf, dass das so blieb.
Van
den Berg knüllte die Zeitung zu einem großen rot-weißen Papierball zusammen und
zirkelte ihn in den Papierkorb. Er hatte genug von den widerlichen Schlagzeilen
über die Mädchenmorde, von den hirnrissigen Spekulationen und der Panikmache
dieser Schmierfinken der Boulevardpresse. Er versuchte abzuschalten und
überlegte er, ob er Marie anrufen sollte. Ihr letzter Brief an ihn lag noch auf
dem unaufgeräumten Schreibtisch. Er las ihn noch einmal.
Lieber
Marc, es schmerzt mich, aber ich muss dir diese Zeilen schreiben. Ich habe dich
lange sehr geliebt, vielleicht tue ich das immer noch. Du hast dich hinter
einer Wand verschanzt, die verhindert hat, dass ich zu dir durchdringen konnte.
Wenn ich mit dir reden wollte, warst du nicht bei mir. Wahrscheinlich hast du mich
nicht verstanden. Vielleicht hast du mich nicht ernst genommen, als ich dir
erzählt habe, wie ich mir unsere Zukunft vorstelle. Vielleicht hast du es
verdrängt, vielleicht hast du gedacht, mit der Zeit kommt alles wieder in die
Reihe. Ich habe mich in letzter Zeit oft einsam gefühlt. In deinem Leben ist
kein Platz für andere Menschen, nur für dich selbst. Die Welt dreht sich nur um
dich, um deine Sorgen, deine Probleme. Es ist schade, dass es so gekommen ist.
Wir
werden uns einige Zeit nicht sehen – es muss sein. Vielleicht können wir
irgendwann Freunde werden. Vielleicht.
Deine
Marie.
Van
den Berg zog die Augenbrauen hoch und blies die Backen auf. Warum mussten
Frauen immer nur aus allem ein Problem machen? Er zerknüllte das Blatt Papier
und warf es mit einem breiten Grinsen in den
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