Katakomben (van den Berg)
Jorge hatte reflexartig das Messer
gezogen und dem Deutschen den kleinen Finger der rechten Hand abgeschnitten.
Sie warfen ihn raus, Hugo dagegen ging freiwillig. Er wusste von Anfang an,
dass er nicht ewig in Nimes bleiben würde. Er war dort, um zu lernen, ihn
reizte die straffe militärische Ausbildung, die Härte und dass er wertvolle
Kontakte knüpfen konnte.
Der
Killer wies den Chauffeur an, zur Chaussée d´Ixelles zu fahren. Jorge sprang
aus dem Wagen und lief in den Quick. Eilig betrat er die Toilettenkabine und nahm
geschickt die Abdeckung des Wasserkastens ab. Er lächelte zufrieden, der
Revolver war noch da. Erst vor Kurzem hatte er ihn dort deponiert.
Hugo
setzte sich auf die Bank und tippelte mit den Schuhspitzen ungeduldig in der
kleinen Pfütze. Ein Schwarm Tauben pickte auf dem Lehmboden nach etwas
Essbarem. Jorge stieg oberhalb des Café Belga aus und eilte in das Lokal. Durch
das Fenster entdeckte er Hugo auf der Bank, es würde zum letzten Mal so sein.
Er schien, wie verabredet, allein gekommen zu sein. Der Spanier zog den
Revolver aus seiner Jacke und steckte ihn in die Hosentasche. Jorge näherte
sich der Bank von hinten, sodass er erst im letzten Moment gesehen wurde. Hugo
musterte seinen Komplizen skeptisch, aber nur kurz. Dann setzte er ein
strahlendes Lachen auf und begrüßte den Hünen überschwänglich. Jorge spürte,
dass die Freundlichkeit seines Partners gespielt war. „Schön, dass du die
Bullen abgehängt hast“, sagte Hugo schleimig. „Das finde ich auch. Hast du
meine Kohle?“, erwiderte der Killer kühl. Hugo übereichte dem Hünen ein großes
Couvert mit 200.000 Euro. „Du weißt, dass der Jäger sehr zufrieden mit dir
war.“ Jorge warf einen kurzen Blick auf den geöffneten Umschlag, dabei behielt
er den Mann, den er nie mehr sehen würde, aufmerksam im Visier. Er verzichtete
darauf, nachzuzählen. Zu bescheißen war nicht Hugos Stil. „Was wollten die
Bullen wissen? Doch sicher die Namen deiner Freunde?“, fragte Hugo, der jetzt
nur noch ganz schwach lächelte. „Allen möglichen Scheiß, ich habe aber nicht
mit ihnen geredet.“ Hugo nickte, während er Jorge aufmerksam musterte. Er hatte
keinen Zweifel daran, dass er die Wahrheit sagte. „Ich vertraue dir und will dir
dieses eine Mal vergeben, dass du dich nicht an die Abmachung gehalten hast“,
sagte Hugo leise. Jorge lachte auf. „Hast du echt geglaubt, ich erschieße mich,
nur weil mich die Bullen einkassieren?“ Hugo lächelte erneut, dabei vermied er
den Blickkontakt. „Ich werde nicht vergessen, dass du mich da rausgeholt hast“,
sagte Jorge beiläufig. Hugo reagierte nicht, sein Blick wanderte jetzt über den
kleinen See. Der Riese hatte keinen Grund, mit seinem scheidenden Geschäftspartner
weiter zu plaudern. Der Zeitpunkt war gekommen, sich für immer zu
verabschieden. Als Jorge aufstand, schlug Hugo leicht auf das Couvert, das der
Spanier locker in der linken Hand hielt. Jorge konnte nicht verhindern, dass
einige Bündel in den Matsch fielen. Irritiert schaute er kurz zu Hugo, der noch
immer aufs Wasser blickte, dann kniete er sich auf den Boden, und beeilte sich,
die Scheine zusammenzuraffen. Im gleichen Augenblick ließ Hugo seinen Kopf
kreisen, um zu checken, ob sie beobachtet wurden. Dann zog er ein langes
Fleischermesser aus der Innentasche seines Mantels und rammte es Jorge zweimal
mit voller Wucht in den Hals. Der Spanier schrie dumpf auf. Das Blut spritzte
aus seinem Hals wie aus einem Gartenschlauch, der unter Hochdruck stand. Hugo
lachte wie der leibhaftige Teufel. Es war ein abgehacktes Lachen, das Lachen
eines Psychopathen. „Vereinbarungen sind heilig“, sagte er. „Wer sie bricht,
wird bestraft.“ Jorge taumelte, mit einer Hand versuchte er verzweifelt, das
Blut zu stoppen, mit der anderen schlug er nach Hugo, der geschickt einen Satz
zur Seite machte. Er griff energisch nach dem Couvert, das Jorge im Todeskampf
fest umklammert hielt, und stopfte die Scheine, die noch am Boden lagen, in
Windeseile hinein. Jorge röchelte. Noch immer hielt er seinen Hals, als könne
er die Fontäne stoppen. Dann kippte der Killer zur Seite und starb in seinem
eigenen Blut, das sich mit dem nassen Lehm zu einem rotbraunen Brei vermischte.
Hugo hatte kein Interesse, sich Jorges Todeskampf bis zum Ende anzuschauen. Er
eilte am See entlang, bis er aus der Sichtweite des Café Belga verschwunden
war. Dann warf er das Messer in den Tümpel, stieg in ein Taxi und fuhr davon.
Van
den Berg war mit
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