Katakomben (van den Berg)
Deflandre und Nicole auf dem Weg ins Präsidium, als das Handy
schellte. „Wir haben Jorge Ramos gefunden – er ist tot.“ „Was, wie, tot?“ Van
den Berg konnte kaum glauben, was ihm De Breuyn da erzählte. Als er von den
tödlichen Schnittverletzungen am Hals hörte, dämmerte es ihm. „Sie haben ihn
hingerichtet“, rief er mit weit aufgerissenen Augen. Nicole zog eine schiefe
Grimasse.
Der
Kommissar überließ Deflandre das Steuer – in kaum mehr als einer halben Stunde
waren sie am See. Die Stimmung der drei Polizisten schwankte zwischen
Erleichterung und Besorgnis. Der mutmaßliche Mörder der drei Mädchen war tot,
er konnte niemanden mehr vergiften. Aber sie hatten eine vielversprechende
Informationsquelle verloren, Jorge nahm seine Geheimnisse mit ins Grab.
Van
den Berg bekam ein flaues Gefühl in der Magengegend, als er den Toten sah.
Jorge Ramos Augen wirkten kalt – sein Gesicht war seltsam entstellt, seine
ganzen Klamotten blutdurchtränkt. Van den Berg fragte sich, ob der Mann
überhaupt noch Blut im Körper hatte. „Da wollte wohl jemand, dass er nicht mehr
reden kann“, sagte van den Berg nachdenklich. „Wir sind keinen Zentimeter
weiter. Wer auch immer dahinter steckt – er wird sich einen neuen Killer
suchen.“
Der
Jäger heulte begeistert auf, als er die Neuigkeiten auf dem Mega-Display in seinem
Separee erblickte. Alles war wieder gut, er war in Sicherheit. Mit Hugo würde er
bald besprechen, wie es weiterging.
Die
Zeugenbefragungen am See verliefen ergebnislos. Niemand hatte das Drama
mitbekommen, das sich auf der Bank abgespielt hatte. Obwohl sie so kurz nach
den tödlichen Stichen am Tatort waren, kamen sie nicht weiter. Nicole
betrachtete den Toten mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu. „Der das
getan hat, muss von Sinnen gewesen sein. Er hat extrem heftig zu gestochen – es
sieht fast aus, als wollte er ihm den ganzen Hals abschneiden“, sagte die
Psychologin. Es schien beinahe, als hätte sie Mitleid mit dem Killer. „Wir
haben jetzt endlich den Beweis, dass er kein Einzeltäter war“, sagte van den
Berg nachdenklich. „Und dass er niemanden mehr umbringen wird“, grinste
Deflandre.
Van
den Berg trommelte die Sonderkommission zusammen. Vorher hatte er noch eine
Stunde, um mit Nicole das Tagebuch von René Balbo zu studieren. Das Mädchen
hatte jede Seite korrekt mit einem Datum versehen. Die Notizen waren in einer schulmäßigen
Schönschrift zu Papier gebracht worden. Sie hatte zu jedem Tag nur zwei oder
drei Sätze aufgeschrieben. Van den Berg und Nicole konzentrierten sich auf die
Einträge der letzten Wochen vor ihrem Verschwinden. Es waren beinahe nur
Alltäglichkeiten, die sie notiert hatte, Schwärmereien von Filmschauspielern
und Boybands. Nur ein Eintrag schien ihm von Interesse. „Paul im Escalier
getroffen. Was will er von mir?“
Sie
hatten noch eine halbe Stunde, bis sie im Team die Lage besprechen würden. Van
den Berg rief noch einmal die Eltern der ermordeten René an. Ihnen war kein
Paul bekannt. Auch in ihrer Schulklasse hatte es vor fünf Jahren keinen Jungen
dieses Namens gegeben. Renés Schulfreundin hatte ebenfalls keine Ahnung. „Weder
die Eltern noch die beste Freundin kennen diesen Paul – das ist schon
eigenartig“, fand van den Berg. „Vielleicht war es nur eine flüchtige Begegnung
und nicht wichtig genug“, meinte Deflandre. Nicole schaute aus dem Fenster und
dachte nach. „Das ist kein Mädchen, das irgendwas ins Tagebuch schreibt. Sie
hat an jedem Tag nur das notiert, was ihr wichtig war“, sagte die Psychologin
mit Nachdruck. Van den Berg schüttelte den Kopf. Warum hatte das Mädchen
niemanden von diesem Typen erzählt? Wenn sie wenigstens etwas mehr über ihn
geschrieben hätte. Sie mussten wieder einmal die Stecknadel im Heuhaufen
suchen.
Van
den Berg malte bei der Zusammenkunft mit der Sonderkommission den Namen Paul
auf die Tafel. Freddy De Breuyn sollte alle Pauls, die in Mord- oder
Sexualdelikte verstrickt waren, aus dem Rechner zaubern.
Hugo
saß auf dem schwarzen Ledersofa und grinste vor sich hin. Der Jäger konnte
zufrieden mit ihm sein. Er hatte alles richtig gemacht. Jorge war tot. Er war
sich sicher, dass die Polizei nichts von ihm erfahren hatte. Sein Plan, ihn zu
befreien und dann zu beseitigen, war perfekt aufgegangen. Nun galt es die
nächsten Weichen zu stellen, damit das Spiel weitergehen konnte.
In
der Legion war Hugo einigen Männern vom Kaliber eines Jorges begegnet. Viele
waren vor
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