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Katakomben (van den Berg)

Katakomben (van den Berg)

Titel: Katakomben (van den Berg) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Prayon
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Hugo gegangen. Mit den meisten Mitstreitern hatte er Kontakt
gehalten, nicht, weil er sentimental war, sondern aus purer Berechnung. Er
ahnte, dass er sie einmal brauchen konnte. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, jemand
musste Jorges Nachfolge antreten.
    Hugo
legte ein leeres DinA4-Blatt vor sich hin. Mit einem dünnen Filzstift zog er
eine Tabelle, in die er fünf Namen eintrug. Er musste den besten Kandidaten für
den Job finden. Hugo schrieb vier Eigenschaften auf das Papier: loyal,
intelligent, anpassungsfähig und unabhängig. Die Vokabel „skrupellos“ sparte er
sich, denn das waren ohne Zweifel alle fünf Kandidaten, daran bestand überhaupt
kein Zweifel. Schnell war der Zettel voll mit Anmerkungen zu den Männern sowie
mit Plus und Minuszeichen. Hugo lächelte zufrieden. Er hatte die Wahl
getroffen. Dimitri erfüllte alle Kriterien, er war derjenige, den auch sein
Bauch gewählt hätte. Der Ukrainer hatte in der Legion immer loyal zu ihm
gestanden. Hugo erinnerte sich an seine Scherereien mit Piet Neeskens. Der
Holländer, ein strohblonder muskelbepackter Hüne, hatte es vom ersten Tag an
auf Hugo abgesehen. Er hatte keine Gelegenheit ausgelassen, ihn zu provozieren
und ihm zu zeigen, dass er der Stärkere war. Hugo vermied eine offene
Konfrontation mit dem streitsüchtigen Klotz. Er wählte ein anderes Mittel, er
machte Neeskens zu einem Außenseiter, was kein Problem für Hugo war, da er die
weitaus bessere Lobby in der Gruppe hatte. Die anfängliche Abneigung zwischen
den beiden steigerte sich zu tiefem Hass. Eines Nachts plante der Holländer,
Hugo die Kehle durchzuschneiden. Dimitri hatte davon erfahren und Hugo
rechtzeitig eingeweiht. Dimitri brach Neeskens sechs Knochen und sicherte sich
auf diese Weise Hugos ewige Dankbarkeit. Wann immer Hugo in der Truppe
Scherereien hatte, Dimitri war immer auf seiner Seite gewesen und zählte zu den
Soldaten, mit denen Hugo intensiven Mail-Kontakt pflegte - er wusste, dass der
Ukrainer für gut bezahlte Jobs jederzeit zu haben war. Und Geld konnte Hugo ihm
reichlich bieten.
    Van
den Berg fuhr die Chaussée d´Ixelles hinauf, als er hörte, dass sein MG
merkwürdige Geräusche von sich gab. Er befürchtete, dass wieder eine
Antriebswelle kaputt gegangen war, diesmal die rechte. Zwei hatte der Wagen
bereits verschlissen. Er ließ den Roadster in einer Werkstatt im Araber-Viertel
und bat Nicole, ihn dort abzuholen. Während sie gemeinsam nach Brügge fuhren,
hielt Deflandre Stallwache und recherchierte mit De Breuyn weiter nach Paul.
    Nicole
fuhr deutlich schneller als erlaubt, mit 180 Sachen raste sie über die
Autobahn. In 45 Minuten erreichten sie die malerische Stadt, die van den Berg
so liebte. Die Lerisse bewohnten ein Haus, das unmittelbar an den Grachten lag.
Das Anwesen war weiß getüncht, die schwere bronzene Eingangstür sah protzig aus.
Man soll wohl sehen, dass die Hütte einen Haufen Kohle gekostet hat, dachte van
den Berg. Lerisse war Bankdirektor bei der West-Vlaamse Bank in Brügge, seine
Frau kümmerte sich um Haus und Kinder. Ein Junge, den van den Berg auf fünfzehn
schätzte, öffnete die Tür. Er trug einen schwarzen Kapuzenpulli mit einem
grellen Thrasher-Aufdruck, den der Kommissar gleich der Skaterszene zuordnete.
Van den Berg zückte seinen Ausweis. „Hallo, Polizei Brüssel. Wir möchten gerne
ihre Eltern sprechen.“ „Einen Moment, bitte.“ Der Junge ließ die Tür mit einem
lauten Knall ins Schloss fallen. Ein piekfein aussehender Mann im dunkelgrauen Zweireiher
riss die schwere Pforte zwei Minuten später wieder auf. „Guten Tag, sie kommen
wegen Dorothee?“ „Das ist richtig, wir hätten da noch ein paar Fragen …“
Lerisse lotste van den Berg und Nicole in den großzügigen Salon, der konsequent
in britischem Kolonialstil eingerichtet war. Der Kommissar fühlte sich an sein
Zuhause erinnert. Auch er hatte einige Teakholzmöbel in seiner Wohnung,
allerdings waren seine räumlichen Verhältnisse um einiges bescheidener als
diese hier. Dorothees Mutter kam auf leisen Sohlen in den Wohnraum. Sie
bemerkten die Frau erst im letzten Moment. „Ich möchte ihnen mein Beileid
aussprechen. Das mit Dorothee tut mir sehr leid“, sagte der Kommissar, bemüht,
diesmal sensibler zu sein. Jaqueline Lerisse war Anfang vierzig und überaus
zierlich. Sie trug ein elegantes dunkelblaues Kostüm von Lagerfeld, das von ihren
auffallend tiefen Rändern unter den Augen nicht ablenken konnte. „Wir haben bis
zuletzt gehofft, Dorothee wieder zu

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