Katerstimmung (German Edition)
im Fernsehraum, auf denen wir unsere Siesta halten wollen. Ich habe Lust, mich von talentfreien Laiendarstellern in den Schlaf schreien zu lassen, und greife zur Fernbedienung. Um diese Zeit lassen die Privatsender in ihren Reality-Soaps meistens unverständlich sprechende Arbeitslose mit vielen Problemen von unverständlich sprechenden Arbeitslosen mit vielen Problemen spielen. Die sitzen dann nach Drehbuch am Küchentisch und klagen über ihre Kinder, Eheprobleme oder den 8-Euro-Stundenlohn auf Arbeit. Und kriegen von der Produktionsfirma dafür dann acht Euro die Stunde. Irgendwie schizophren.
Beim Zappen merke ich, dass «Nachmittags kommt nur Müll im Fernsehen» ein weltweit gültiger Grundsatz ist. Er steht in einer Reihe mit den Axiomen «Kontrolleure kommen nie, wenn man mal einen Fahrschein hat» und «T-Shirts gibt es immer in allen Größen – außer in M». Ich drücke mich bis zu den deutschen Sendern, finde aber auch da nichts Spannendes. Ein grauhaariger Mann an einer Hotelrezeption, ein Tigerbaby in einem Zoo, eine Gruppe Jugendlicher in einer Tiefgarage. Moment! Da sind doch Lenny und Wilhelm dabei. Was zeigt n-tv da für ein Video? Schnitt ins Studio. An einem langen Tisch lehnen ein bubihafter Moderator und eine schüchterne Mittvierzigerin. Ich stelle den Ton laut.
«Bei uns jetzt Sprach-Expertin Gudrun Schneyder. Sie haben gerade das Handyvideo gesehen, das einer der Jungen in der Tiefgarage gemacht hat. Vieles ist ja in Englisch, aber vereinzelt hört man auch spanische Sätze. Verstehen Sie, was die Dealer da genau sagen?»
Ach du Scheiße! Haben die Frisurenfreds doch wirklich mitgefilmt. Und dann auch noch mit Ton!
«Sowohl auf Englisch als auch auf Spanisch hört man einige Wörter, die dem Drogenmilieu entstammen. Auffällig ist jedoch, dass beide einen starken deutschen Akzent haben …»
«Was? Hab ich gar nicht!», empört sich Wilhelm.
«… und der Jüngere hier …»
«Der ist nicht jünger!», ärgert sich Wilhelm erneut.
«… auch grammatikalisch viele Fehler macht.»
«Mache ich nicht!», ätzt Lenny.
«Schauen wir uns das Video doch noch einmal Schritt für Schritt an», schlägt der Bubimoderator vor. Ich bete, dass irgendeine übermüdete studentische Hilfskraft aus Versehen die Tonspur gelöscht hat. Machen die doch sonst auch immer. Heute nicht.
Chicos, we have brought you a good offer …
«Unregelmäßige Verben!», strahlt Lenny.
… that you will not receive.
«Refuse», murmel ich.
«Ups.»
«Oft werden auch deutsche Begriffe ungeschickt ins Englische übertragen», kommentiert Gudrun Schneyder.
«Ungeschickt?», fragt Lenny Richtung Fernseher.
We … we are … international drug handlers.
«Ungeschickt», bestätige ich trocken.
«Sie meinen also, dass die Drogendealer einen deutschen Background haben könnten?», folgert Bubi.
«Das sind definitiv Deutsche.»
Puedo decir lo que quiero, no me entienden de todas formas.
«An einigen Stellen sprechen sie aber auch Spanisch. Was wird da gesagt?»
«Also, der eine spricht recht gut Spanisch, an dieser Stelle sagt er: Ich kann sagen, was ich will, sie verstehen mich ohnehin nicht.»
«Wilhelm!»
«Ja, es ging doch nur darum, ein bisschen spanische Atmosphäre zu haben!», verteidigt er sich.
«Aber der Jüngere …», fährt Frau Schneyder fort.
«Der ist nicht jünger!»
«… sagt teilweise sehr merkwürdige Dinge.»
Pablo Escobar. Me pones a cien, mi vida. Tijuana.
«Hier zum Beispiel: Pablo Escobar, du bringst mich auf hundert, mein Liebling. Tijuana.»
«In der BILD stand: ‹Du machst mich total an, Schätzchen›», wundert sich Lenny.
Das hätte natürlich wesentlich besser geklungen.
«Könnte das ein Geheimcode sein?», will Bubi wissen.
«Also, wenn ich ehrlich bin …»
Ciudad Juárez. Tengo unos buenos pectorales!
«… jetzt sagt er: Ciudad Juárez, ich habe eine gute Brustmuskulatur. Also, wenn ich ehrlich bin, halte ich die beiden für zwei Urlauber, die sich einen Scherz erlaubt haben.»
«Na ja, vielleicht versucht er auch nur in einer nervlich so belastenden Situation seine Männlichkeit durch markige Sprüche zu demonstrieren?»
Droga, Droga. Hoy no puedo, tengo la regla.
«Jetzt hat er gesagt: Droga, Droga. Heute kann ich nicht, ich habe meine Tage.»
Minutenlang hängen wir schweigend auf unseren Sofas. Könnte man wirklich Löcher in die Wand starren, sähe der Fernsehraum jetzt aus wie nach einem Besuch von Pablo Escobar. Es gibt vermutlich nicht
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