Katerstimmung (German Edition)
Stange.
Der Applaus am Ende des Vortrags dauert wesentlich länger als bei der Frau mit der nackten Statue. Die spanischen Germanisten sind begeistert. Enthusiastisch bedankt sich die Cordkugel bei Dr. Kamphaus für dessen leidenschaftlichen und außergewöhnlichen Vortrag.
«Am Anfang habe ich das Gedicht nicht sehr gut verstanden, aber dank Ihnen ist es jetzt für uns alle, denke ich, viel klarer geworden. Peter Wackel ist ein Meister!»
Geradezu ein Literator. Zufrieden grinsend kommt Wilhelm auf uns zu. Noch immer applaudiert die verballermannhornte Menge. Mein Opa hat immer gesagt: «Wissen ist Macht.» Nach dem heutigen Mittag habe ich eher den Eindruck: «Zu viel Wissen ist Ohnmacht.» Die würden auch noch Parallelen zwischen Rainer Maria Rilke und der Geboltskirchener Abfallordnung erkennen. Bloß weg hier.
Nur wie? Wir stehen um einen Tisch im Foyer und vor so vielen ungelösten Konflikten wie das Immunsystem von Pete Doherty. Ich habe keine Ahnung, wo wir uns befinden. Wir sind an einem unbekannten Ort eine Viertelstunde neben Lloret de Mar. Vielleicht auch eine Stunde, ohne Wasims im Nacken und Carlos am Steuer. Unser Kameramann ist abgehauen, weil wir ihn in gefährlichere Situationen bringen als Die Drei Fragezeichen Chauffeur Morton. Während sternTV schon die Tiefgaragenszene nachstellt, kann ich den News heute gar keine Bilder liefern. Und meine Namenskreationen, die sich normalerweise in passwortgeschützten PDFs verbergen, stehen auf der Titelseite der BILD . Und dann wimmelt mein Chef auch noch meine Traumfrau am Telefon ab. Es läuft alles nach Plan. Nach Dieter Bohlens Tortenplan. Zack.
Schnelles Absatzklackern kündigt uns weiblichen Besuch an. Es ist Wilhelms Vorrednerin. Hastig huscht Señora la Profesora durchs Foyer. Sie ist nicht mehr die Jüngste, macht in ihrem roten Kleid aber immer noch eine verdammt gute Figur. Ihrem Schöpfer ist «Die Synthese femininer Gestalten» offenbar sehr gut gelungen.
«Ah! Hola!», sagt sie und bremst kurz ab. «Dr. Kamphaus, das war wirklich eine sehr interessante Vortrag!»
Wilhelm zieht eine verschmitzte Schnute, die sich zunehmend als Zeichen bescheidenen Dankes durchsetzt, obwohl sie für mich immer nach einem arroganten «Ich weiß» aussieht.
«Ich muss jetzt schon gehen leider, weil ich nachher noch habe eine Sitzung von meiner Fakultät in Barcelona.»
«Wir müssen auch nach Barcelona!»
«Ja dann, ich nehme Sie mit?»
Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo eine Profesora mit Dreier-BMW her. Wir steigen gerade ein, als ein Taxi vor dem Kongressgebäude hält. Ein bärtiger Mann mit Aktentasche zwängt sich von der Rückbank und eilt auf den Eingang zu. Ich kann mir denken, wer das ist. Der arme Kerl. Aber wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Oder der Partynator.
Ich stelle mir vor, wie Ralf Richter kurz vor der Tuning World Bodensee mit 200 Stundenkilometern auf der Landstraße angehalten und dann den Gottmannsbühler Ortsbewohnern vorgeführt wird. Im Schritttempo auf der Rückbank zweier stolz hupender Polizisten. Einen ähnlichen Tempowechsel erleben wir gerade. Anders als Carlos befindet sich Señora offensichtlich nicht im aktiven Widerstand gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen.
Sie erkundigt sich nach unseren Namen und stellt sich selbst als Concepción Blasco Martinez vor. Ich halte «Concepción» für einen ähnlich schönen Vornamen wie «Procedere» oder «Systematik», bin aber lieber ruhig. Sie bemerkt, dass wir irritiert sind, und klärt uns über die spanische Namensgebung auf.
Noch bis vor 40 Jahren händigte die katholische Kirche eine Liste mit möglichen Vornamen aus, von denen die Eltern nur noch ihren Favoriten wählen mussten. María stand da wohl ganz oben. Jedenfalls gibt es den Namen laut Profesora so oft, dass er gewöhnlich gar nicht ausgeschrieben, sondern mit Ma abgekürzt wird. Fiese Eltern, die sich zu den hinteren Listenplätzen vorarbeiteten, stießen dort dann auf Gemeinheiten wie Soledad, Crucifixión oder Expiración. Einsamkeit, Kreuzigung, Aushauchung. Kirchenkreativität olé! Hätten mich meine Eltern Aushauchung genannt, hätte ich schnell für die ihrige gesorgt.
Jedenfalls gehörten Concepcións Eltern zu den ganz Harten. Übersetzt heißt ihr Name «unbefleckte Empfängnis». Sein eigenhändig gezeugtes Kind so zu nennen ist ungefähr so sinnvoll wie das Wort eigenhändig in diesem Zusammenhang. Onan wurde nie Vater. Es erinnert mich an die Zeugin Jehovas, die
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