Kates Geheimnis
war zu spät, um die Dinge zu ändern. Sie konnte nichts von dem ungeschehen machen, womit sie die Familie so verletzt hatte. Nichts würde Lucinda wieder zum Leben erwecken -
und niemals würde Kate
Gerechtigkeit widerfahren.
Jill konnte immer noch kaum begreifen, dass Lucinda sie letzte Nacht ohne Skrupel einfach so erschossen hätte.
Vor dem Turm blieb sie stehen und schauderte; sie hasste seinen bloßen Anblick. Sie wusste nicht, ob sie mutig genug war, auch hineinzugehen. An diesem Ort lauerte der Tod. Zuerst Kate und nun Lucinda, und, bei Gott, wenn Alex letzte Nacht nicht bei ihr gewesen wäre, würde jetzt wahrscheinlich sie selbst im Leichenschauhaus in Scarborough liegen.
»Hey.«
Beim Klang von Alex’ Stimme direkt hinter ihr erstarrte Jill. Sie hatte nicht bemerkt, dass er gekommen war. Langsam drehte sie sich um und sah direkt in seine leuchtend blauen Augen. Sie blickten forschend. Und er sah immer noch fürchterlich aus.
Er sah sie ernst an. »Du bist letzte Nacht einfach verschwunden.« Sie schluckte. »Ich hatte Angst, dich mitten in der Nacht anzurempeln. Deine Schulter.«
Das war gelogen. Und sie wusste, dass er es wusste.
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Sie hatte Angst davor gehabt, neben ihm aufzuwachen, und vor dem, was dann passieren würde - oder nicht passieren würde. Er antwortete nicht.
»Solltest du dich nicht noch ausruhen?«, fragte sie nervös. Er war immer noch so blass. Außerdem hatte er sich heute nicht rasiert und wirkte jetzt fast bedrohlich. Aber seine sanften Augen wogen alles auf.
»Mir geht’s gut«, sagte er. »Na ja« - ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht , »den Umständen entsprechend.«
»Es tut mir so Leid«, rief Jill und dachte traurig an William, der den Tod seiner Geliebten beweinte, und an Margaret, die davon wissen und darunter leiden musste. »Ich wollte weder dir noch deiner Familie jemals wehtun. Ich wollte nie, dass so schlimme Dinge passieren.«
»Das weiß ich doch. Ich wollte dich auch nicht verletzen, Jill. Bitte versuch mich zu verstehen, bitte glaub mir«, sagte er ebenso heftig. Sie starrte ihn an.
Die Hände hatte sie noch immer tief in den Taschen vergraben, und ihr Herz klopfte ängstlich. Sie hatten den alles entscheidenden Punkt erreicht. Endlich, nach all den Wirren des Schicksals, die ihre Suche nach Kate Gallagher mit sich gebracht hatte, hatte es sie genau jetzt an diesem besonderen Ort zusammengeworfen. Hier gabelte sich der Pfad. Ihre Wege würden sich trennen - oder nicht. »Du hast 737
mich angelogen, Alex. Du hast diese Briefe gestohlen.«
»Ich weiß.« In seinem Kiefer arbeitete es. »Und ich bin bestimmt nicht stolz drauf.«
Sie wollte ihm so gerne glauben.
»Ich steckte in einer furchtbaren Zwickmühle. Ich habe versucht, deine Suche zu behindern, um meine Familie zu beschützen, und mich im selben verdammten Moment in dich verliebt.« Er machte ein Geräusch, das ein wenig wie Lachen klang. »Das Leben ist einfach unberechenbar, was?«
Jill nickte, aber sie fürchtete sich jetzt vor der Zukunft - eine Zukunft, die sie allein verbringen würde, in ihrem trübseligen Leben zu Hause in New York. Eine Zukunft ohne Alex. »Hat Kate jemals davon geschrieben, dass sie um ihr Leben fürchten musste? Hat sie irgendwo jemanden dafür verantwortlich gemacht?«
»Nein. Ich geb dir die Briefe. Ach so, du hast sie ja schon.« Er seufzte, tief und resigniert.
Das gefiel Jill gar nicht. »Hattest du vor, mir überhaupt von den DNS-Tests zu erzählen?«
»Ja.« Er fuhr sich über die Lippen. »Jill, ich musste einfach ganz sicher wissen, ob du Kates und Edwards Urenkelin bist. Die Dinge haben sich überschlagen.
Nachdem das mit Lady E. passiert ist, habe ich wirklich Angst bekommen.« Er sah ihr in die Augen.
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»Ich hatte entsetzliche Angst um dich - und ich hatte Angst davor zu erfahren, wer dahinter steckt.«
»Also hast du gehofft, ihr könntet mir Geld geben, damit ich verschwinde.«
»Peters Treuhandvermögen gehört dir.«
»Ich hab das alles nicht angefangen, um mir Kates Vermögen unter den Nagel zu reißen.« Jill holte tief Luft. »William ist mein Onkel zweiten Grades.
Thomas und Lauren sind mit mir verwandt.« Sie konnte es noch immer kaum begreifen.
»Ich weiß.« Sein Blick suchte den Turm. »Ich weiß es sehr zu schätzen, was du letzte Nacht getan hast.«
Jill nickte, folgte seinem Blick und schauderte. Sie sah Lucinda vor sich, wie sie mit aufgerissenen Augen und starrem Blick auf dem Rücken lag. »Ich
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