Kates Geheimnis
stünden sie sich in einem Duell gegenüber. Er machte sie nervös, und sie wandte rasch den Kopf ab. »Tun Sie das nicht«, sagte sie leise. »Nicht jetzt, nicht so, nicht heute Abend. Ich schaff das nicht.«
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»Hal war mein Cousin. Wir sind zusammen aufgewachsen. Ich will wissen, was wirklich passiert ist. Sie haben sich nicht auf die Straße konzentriert.
Das ist der Schluss, zu dem ich gelange. Was bedeutet, dass Sie abgelenkt waren:«
Jill war verzweifelt. »Ich werde mit dem Wissen leben, dass ich am Steuer gesessen habe und gegen diesen Baum gefahren bin, dass ich Hal umgebracht habe, mein ganzes Leben lang. Ich weiß nicht, was passiert ist!«, schrie sie. Jill schlang die Arme um die Brust, konnte kaum atmen und hasste Alex dafür, dass er sie auf diese Art bedrängte. »Ich verheimliche gar nichts«, flüsterte sie.
»Worüber habt ihr zwei euch unterhalten?«, fragte er unbarmherzig.
»Ich weiß es nicht mehr!«
»Wie praktisch«, gab er zurück. »Habt ihr euch gestritten?«
Jill wusste, dass sie kalkweiß geworden war.
»Ihr habt euch gestritten«, sagte Alex ruhig und sah sie mit festem
Blick an. »Und ich kann mir vorstellen, worüber ihr gestritten habt.«
Tränen traten ihr in die Augen. »Diese Familie ist furchtbar«, schluchzte sie. »Sie sind furchtbar. Ich habe Hal geliebt! Seht ihr das denn nicht? Sehen Sie es nicht? Sie sind der kälteste Mensch, den ich kenne!
Ich habe den Mann verloren, den ich liebe«, schrie sie 84
ihn an. »Den Mann, von dem ich mein ganzes Leben lang geträumt habe!«
»Und ich habe meinen Cousin verloren. Thomas und Lauren haben ihren Bruder verloren, meine Tante und mein Onkel ihren Sohn, verdammt noch mal«, sagte er hitzig. »Alle stehen unter Schock, allen ist elend zumute, wir alle leiden, verflucht.«
Jill wich vor ihm zurück.
Er wandte sich abrupt um, seine breiten Schultern zuckten. Er war plötzlich furchtbar wütend.
Jill starrte seinen Rücken an. »Es tut mir Leid«, flüsterte sie schließlich. Er drehte sich nicht um. »Ich weiß, dass ihr mich alle hasst, alle, aber ich hasse mich schon selber. Bitte, bitte, tut mir das nicht länger an.«
Er rührte sich nicht.
Jill sank wieder auf das Bett. Ihre Hände zitterten -
ihr ganzer Körper zitterte. Für einen Augenblick verbarg sie das Gesicht in den Händen, aber sie konnte nicht aufhören zu zittern, sie konnte sich kein bisschen beruhigen. »Morgen werde ich irgendwo ein Hotelzimmer finden.«
Alex wandte sich ihr zu. Seine Miene wirkte streng.»Absolut aussichtslos. Es ist kein ordentliches Zimmer zu bekommen; mein Reisebüro hat es den ganzen Tag lang versucht.«
Ihre Verzweiflung ließ ihn offensichtlich völlig kalt. War irgendjemand in dieser Familie in der Lage, 85
Mitgefühl zu empfinden?, fragte sie sich. Sehr unsicher und ohne darüber nachzudenken flüsterte Jill: »Warum helfen wir einander nicht, teilen unsere Wut und unsere Trauer, anstatt uns gegenseitig fertig zu machen?«
»Weil Hal tot ist«, sagte er schlicht.
Jill schlug die Hände vor den Mund und wäre fast in Tränen ausgebrochen. Wie Recht er hatte. Hal war tot, und er hinterließ Wut und Hass und all ihre Lügen.
»Ich bringe dich besser wieder rauf«, sagte Alex.
»Es ist spät, und ich bin müde.«
Jill schaute nicht zu ihm auf. Sie konnte es einfach nicht. Sie antwortete auch nicht.
»Kann’s losgehen?« Er nickte mit dem Kopf in Richtung Tür. »Auch wenn du nicht schlafen kannst, solltest du dich ein bisschen ausruhen. Morgen wird ein sehr anstrengender Tag.«
Jill wand sich. Die grausame Wahrheit drängte sich ihr auf und ließ sie das Foto und Alex’ zudringliche Fragen vergessen. Morgen. Morgen würden sie Hal beerdigen.
»Nach dir«, sagte er und machte eine höfliche Geste. Dann berührte er ungeduldig ihren Arm.
Jill schüttelte seine Hand ab. Sie wollte nicht, dass er sie berührte, nicht einmal in so beiläufiger Weise.
Als sie an ihm vorbeiging, fragte sie sich, wie sie den 86
folgenden Tag überstehen sollte. Sie wusste nicht, ob sie die Kraft hatte, Hals Beerdigung zu ertragen.
Jill war besorgt, weil sie nicht wusste, ob sich jemand um ihre Katze kümmerte, und rief deshalb in New York an. Nach ihrer Schätzung musste es dort jetzt etwa acht Uhr abends sein. Aber ihre Nachbarin, eine arbeitslose Schauspielerin, schlief und arbeitete zu den unmöglichsten Zeiten. Sie ging von Job zu Job wie reiche Frauen durch die Geschäfte der Madison Avenue. Jill war erleichtert, als nach
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