Kates Geheimnis
meinen Sie damit?«
»Meine Urgroßmutter starb als junge Frau bei einem Unfall mit einer Kutsche. Das Vermögen der 76
Bensonhursts ging auf Anne über. Nicht der Titel -
Titel können nicht an Frauen vererbt werden, aber der Besitz schon. Meine Großmutter, eine geborene Feldston, wurde in ein Pensionat geschickt, als ihr Vater wieder heiratete. Den Großteil seines kleinen Vermögens erbte sein Sohn. Meine Großmutter war die „arme Verwandte“, und sie hatte großes Glück, dass ein amerikanischer Gentleman sich in sie verliebte und sie mit in die Fremde nahm.«
Jill fragte sich, ob er seine Lage mit der seiner Großmutter verglich. Aber an diesem Mann war nichts Ärmliches. Selbst in Jeans strahlte er Erfolg, Selbstsicherheit und Macht aus. Er schien auch nicht verbittert zu sein, aber sie war sicher, dass er seine Gefühle sehr gut verbergen konnte. Also sind Sie zu Ihren Wurzeln zurückgekehrt«, bemerkte sie.
Sie wurde von einem unglaublich intensiven Blick durchbohrt.
»Meine Wurzeln sind bei Luigi’s, wo meine Mutter ihr ganzes
Leben lang als Kellnerin gearbeitet hat. Meine Wurzeln liegen in Coney Island, nicht in Mayfair.«
Jill hielt seinem Blick stand.
»Wie sind Sie dann hier gelandet?«
Er sah weg. »Meine Mutter ist gestorben, als ich dreizehn war. Ich war kein Fremder für diese Familie
- sie hatten uns jeden Sommer zu sich eingeladen. Sie haben mich aufgenommen.« Er lächelte knapp. »Den 77
angehenden Ganoven.« Sein Lächeln erlosch. »Das war das Beste, was mir passieren konnte.«
Jill schwieg und versuchte sich diesen Mann als gerissenen Halbstarken aus Brooklyn vorzustellen, der mitten in diese Familie und in diesen Lebensstil geworfen wurde. »Das muss sehr schwierig gewesen sein.«
Er zuckte mit den Schultern und wollte das Thema offensichtlich nicht weiter verfolgen.
Das war Jill nur recht. Sie sah wieder auf Anne und Kate hinunter.
»Wäre es nicht ein ganz unglaublicher Zufall, wenn ich mit Kate Gallagher verwandt wäre?« Die Worte waren unvermittelt aus ihr hervorgesprudelt.
»Die Chancen stehen eins zu einer Million.«
Jill sah das ein. Andererseits hatte sie das unbestimmte Gefühl, dass hinter dieser Sache mehr steckte, als auf den ersten Blick zu erkennen war ...
»Wissen Sie etwas über sie?«, fragte Jill neugierig und studierte die beiden Frauen. Jetzt schien es ihr, als ob Kate den Fotografen ein ganz klein wenig anlächelte. Sie hielt das Foto noch näher und kam zu dem Schluss, dass Kate an dem Fotografen interessiert war - entweder das, oder sie war eine miserable Schauspielerin.
»Nein. Warum sollte ich etwas über
irgendjemanden auf einem uralten Foto wissen?«
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»Wissen Sie, wo es aufgenommen wurde?«, fragte Jill und reichte ihm das Bild.
Alex sah es sich genau an. »Ehrlich gesagt habe ich nicht die geringste Ahnung. Das könnte überall gemacht worden sein.« Er ignorierte ihre ausgestreckte Hand und stellte das Foto zurück auf den Nachttisch. »Hal war der Historiker in der Familie«, sagte er. »Ich interessiere mich für die Gegenwart und die Zukunft, nicht für die Vergangenheit.«
»Na ja.« Jill zögerte. »Ich schätze, ich finde Geschichte auch faszinierend.«
Als er nicht antwortete, wurde ihr bewusst, wie spät es geworden war, wie müde sie war und dass sie ihm barfuss gegenüberstand. Plötzlich fiel ihr auf, dass auch er barfuss war. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich sollte wohl zurück in mein Zimmer gehen und versuchen, ein bisschen zu schlafen.« Sie blickte zum Nachttisch hinüber. Aus irgendeinem Grund wollte sie das Bild mitnehmen und es sich wieder und wieder anschauen. Aber es war ein Erinnerungsstück, es gehörte Hal und seiner Familie.
Sie glaubte nicht, dass Alex ihr erlauben würde, es mit auf ihr Zimmer zu nehmen.
Aber was, wenn sie von Kate Gallagher abstammte?
Logischerweise konnte sie nicht ihre Urgroßmutter sein, denn sie hatten denselben Nachnamen. Jill war so fasziniert von dem Gedanken, dass sie erschauderte. Doch dann fielen ihr Hals letzte Worte 79
wieder ein, und eine tiefe Traurigkeit überkam sie. Ihr Leben war ihr noch nie so kompliziert oder so leer vorgekommen. Wenn er nur am Leben wäre, um ihr die Antworten zu geben, die sie so sehr brauchte.
Alex blieb stumm. Seine ausgedehnten Phasen des Schweigens verunsicherten sie. Jill mied seinen durchdringenden Blick. »Also«, sagte sie und steckte die Hände in die Hosentaschen. »Wenn Sie nichts dagegen haben, mache ich mir
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