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Kates Geheimnis

Kates Geheimnis

Titel: Kates Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
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Tod«, sagte er heiser.
    »Aber mein Bruder war so jung, er war erst sechsunddreißig, und er war eine jener guten Seelen, von denen die Welt so viel mehr bräuchte.« Er holte tief Luft. »Er hatte es nicht verdient zu sterben. Ich kann noch immer nicht begreifen, wie das passieren konnte.« Thomas hielt inne. Und plötzlich blickte er Jill direkt in die Augen.
    104

    Jill hielt mit geballten Fäusten seinem Blick stand.
    Jegliches Mitgefühl, das sie eben noch für Thomas empfunden hatte, war erloschen. Sein Satz kam einer Mordanklage gleich. Er hatte sie offen beschuldigt -
    keiner der Anwesenden konnte seine Worte falsch verstanden haben, oder die Anklage in seinen Augen.
    Wie konnte er so grausam sein?
    »Hal war ein außergewöhnlich gütiger Mensch«, fuhr Thomas fort, den Blick noch immer starr auf Jill gerichtet. »Er hatte ein Herz aus Gold. Er hat sich stets für andere eingesetzt. Ich habe ihn oft damit aufgezogen. Als wir noch klein waren, war er immer derjenige, der kleine Stromer mit nach Hause brachte.
    Wir hatten nie weniger als drei oder vier herrenlose Katzen und Hunde im Haus, als wir noch Kinder waren. Unsere Mutter hat ihn immer angefleht, nicht noch mehr arme Kreaturen anzuschleppen, aber er hat nie auf sie gehört.«
    Marisa weinte wieder.
    Thomas war ein hervorragender Redner, seine Stimme kraftvoll und deutlich, aber Jill hörte ihn nicht mehr. Sie starrte Marisa an, die von Trauer förmlich zerrissen wurde. Offensichtlich war sie bis über beide Ohren in Hal verliebt gewesen. Jill wurde schlecht.
    »Ich habe beschlossen, Hals Arbeiten zusammenzutragen und in einer Galerie auszustellen«, sagte Thomas. Jill erhob den Blick wieder zur Kanzel; Marisa auf der anderen Seite des 105

    Ganges fuhr fort, laut und unbeherrscht zu schluchzen. »Sein Werk ist es, was uns und der Welt von ihm bleibt«, sagte Thomas. »Danach, habe ich gedacht, könnten wir seine Arbeiten als Dauerausstellung nach Uxbridge Hall bringen. Hal hat Uxbridge Hall geliebt. Als er noch in London lebte, hat er das alte Gemäuer regelrecht heimgesucht.« Plötzlich liefen Tränen über Thomas’
    Wangen. Es war klar, dass er nicht weitersprechen konnte.
    Alex eilte zum Rednerpult. Er legte einen Arm um seinen Cousin. Thomas schüttelte den Kopf. »Ich will zu Ende sprechen«, schien er ihm damit zu bedeuten.
    Alex redete auf ihn ein.
    Jill tupfte sich die Augen trocken und beobachtete die beiden Cousins, der eine schlank und dunkel, der andere wie vergoldet. Schließlich beugte sich Alex dem Willen seines Cousins und verließ die Kanzel.
    Kurz bevor er sich setzte, traf sein Blick auf Jills.
    Jill sah nicht weg.
    Thomas schluckte. »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte er barsch. »Ich habe meinem Bruder so vieles zu verdanken. Mehr, als ich hier erklären kann; lasst mich nur soviel sagen, dass Hal sich, als ich wegen persönlicher Dinge eine sehr schwere Zeit durchmachen musste, immer die Zeit genommen hat, mich zwei oder dreimal am Tag anzurufen. Und wenn er nur einfach Hallo sagte, um sich zu vergewissern, dass bei mir alles in Ordnung war, um mich wissen zu 106

    lassen, dass er für mich da war. Mein Bruder war ein einzigartiger und wunderbarer Mensch.«
    Thomas verstummte. Lange Augenblicke verstrichen. Jill dachte, seine Grabrede sei vorbei. Ihr Blick blieb auf sein Gesicht fixiert. Selbst wenn sie gewollt hätte, sie hätte ihn nicht abwenden können.
    Plötzlich sprach er weiter, lächelnd und weinend zugleich: »Als wir noch klein waren, war Hal immer derjenige, der Streiche ausgeheckt hat. Ich werde nie vergessen, wie er einmal eine Kröte in das Wasserglas unseres Kindermädchens gesteckt hat. Sie hat so laut geschrien, dass sie Tote hätte wecken können.« Das Lächeln verschwand. Die Tränen blieben. »Ich kann nicht glauben, dass er fort ist.« Abrupt hörte Thomas zu sprechen auf, und wieder liefen ihm Tränen über die Wangen. »Ich vermisse ihn so schrecklich.«
    Jill wollte nur noch aufspringen und weglaufen.
    Doch da sein Blick sich wieder auf ihr Gesicht richtete, rührte sie sich nicht.
    »In Hals Namen«, fuhr Thomas fort, »werde ich eine Stiftung einrichten, damit junge, mittellose Künstler eine Chance bekommen, ihre Träume zu erfüllen. Das ist das, was Hal sich gewünscht hätte.«
    Jill schaute ihn an. Das war eine noble und große Geste. Hal hätte sich darüber gefreut. Sie fuhr sich über die Augen. Sie hatte gedacht, dass sie endlich, endlich keine Tränen mehr hätte. Aber sie hatte sich

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