Katharsia (German Edition)
dem Gänge in die unterschiedlichsten Richtungen führten. Hier herrschte ein unglaubliches Gedränge und die vier hatten alle Mühe, einander nicht zu verlieren.
Denise schlängelte sich zielsicher durch das Gewühl der Menschen, folgte der Beschilderung, die in Richtung Eiffelturm wies. Überall an den Wänden hingen kleine Plakate mit der Karikatur des Präsidenten. Sein Kopf war als aufgeblasener Ballon dargestellt. Darunter stand: „Kein Retamin für den Ballonkopf!“
Sando stieß Nabil an und machte ihn darauf aufmerksam.
„Gut getroffen!“, freute er sich.
Ein Junge mit einem Stoß Zeitungen auf dem Arm kreuzte ihren Weg. „Pariser Anzeiger! Aus für Battoni!“, rief er wiederholt mit heller Knabenstimme.
Geistesgegenwärtig fischte ihn Nabil am Ärmel aus dem Menschenstrom. Rasch, ehe der kleine Zeitungsverkäufer wieder davongeschwemmt werden konnte, steckte ihm der Hüne eine Münze zu und griff sich ein Exemplar des „Pariser Anzeigers“. Neugierig, was das Blatt über Battoni zu berichten hatte, versuchte Nabil, die Zeitung im Gehen zu entfalten. Doch bei dem Gedränge scheiterte er kläglich.
„Dort vorn ist ein Aufgang!“, bedeutete ihm Denise und eilte auf eine Treppe zu.
Als sie aus der Tiefe emporstiegen, empfing sie ein Park im Sonnenlicht. Am Ende einer Allee lockte der Eiffelturm. Denise setzte sich auf eine Bank und blinzelte in die Sonne. Nach dem Lärm im Tunnel kam es ihr hier angenehm still vor. „Sogar das Wispern der Blätter in den Bäumen ist zu hören“, sagte sie gut gelaunt.
Sando und Gregor ließen sich neben ihr nieder und genossen den ungewohnten Frieden. Auch Ben schien sich an dem Gefühl der Freiheit zu erfreuen. Er traute sich aus Sandos Rucksack heraus und wuselte durch das Gezweig eines nahe stehenden Strauches. Gregor räkelte sich auf der Bank und sagte plötzlich: „Also, ich halte das Ganze für eine Fehlentwicklung.“
Denise und Sando sahen ihn fragend an. „Wovon redest du?“
„Na ja, dieses Verkehrssystem kommt mir vor wie ein Saurier, der zum Aussterben verdammt ist.“
„Wie das?“ Sando war verblüfft.
„Sieh mal, im Moment sind bestimmt Tausende Menschen gleichzeitig unterwegs mit diesen Mobilen.“
„Na und?“
„Sie hängen alle von einem Computer ab. Was, wenn er mal ausfällt?“
Denise prustete. Sie ließ nichts auf ihr Pariser Modell kommen. „Er fällt nicht aus! Da sind Sicherheiten eingebaut. Darauf kannst du dich verlassen.“
„Genau das ist es“, sagte Gregor dunkel, „es fehlt an Demut.“
Nabil hatte von dem Gespräch nichts mitbekommen. Er lag etwas abseits auf dem Rasen und blätterte die Zeitung von hinten nach vorn durch. Es war eine Marotte von ihm. „Na, dann wollen wir doch mal sehen, was unserem Freund Battoni widerfahren ist“, brummte er dabei vergnügt.
Erst ganz zuletzt, also auf dem Titelblatt, fand er, was er suchte. Stumm versank er in der Lektüre.
„Wir wollen alle wissen, was los ist“, sagte Denise von ihrer Bank her. „Komm schon, Nabil, lies vor!“
Die tiefe Stimme des Hünen dröhnte nun weithin hörbar durch den Park:
Aus für Präsidentenberater Battoni
Unter dem Druck der jüngsten Enthüllungen hat Präsident Samuel Wanderer seinen Berater Battoni entlassen.
Der mächtigste Mann Katharsias versprach eine lückenlose Aufklärung der Geschehnisse und stimmte der Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu. Rücktrittsforderungen, die von Seiten der Opposition ihm gegenüber erhoben wurden, wies er strikt zurück. Auch gegen eine Auflösung des KORE sprach er sich aus. „Die Truppe wird dringend gebraucht. Die Retaminknappheit und die damit verbundene organisierte Kriminalität wachsen dramatisch“, so der Präsident wörtlich.
Über die Quelle, aus der das belastende Material stammt, ist indes nichts bekannt. Die „Katharsia TIMES“ verweigert dazu jede Auskunft. „Solange der Präsident am KORE festhält, müssen die Informanten geschützt werden“, heißt es heute in dem Blatt.
Sando nahm den Artikel mit gemischten Gefühlen auf. Natürlich war er froh, dass die „Katharsia TIMES“ ihre Informationsquelle nicht preisgab, Erleichterung empfand er dennoch nicht.
„Das KORE bleibt bestehen …“, sagte er nur und seine Freunde wussten, was er meinte. Keiner von ihnen glaubte, dass Battoni allein für die Machenschaften dieser Truppe verantwortlich war. Mit seinem Rauswurf war die Gefahr für sie nicht vorüber. Im Gegenteil – vielleicht war
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