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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
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dem Sockel, wer ist das?“, fragte Sando in eine Stille hinein, die nach dem eben herrschenden Chaos gespenstisch wirkte. Selbst die Sirenen der eintreffenden Krankenwagen schwiegen. Nur ihre Rundumleuchten blitzten.
    Ben rührte sich im Rucksack und steckte vorsichtig seinen Kopf aus dem Kokonfutter. „Das ist Jannis der Träumer“, zirpte er. „Er will den Hades abschaffen.“
    „Also ein Seelenretter …“, mutmaßte Sando.
    „Nein, das glaube ich nicht“, widersprach Ben. „Mit diesen Leuten hat er nichts zu schaffen. Ihm tun nur die gefangenen Seelen leid. Ein unverbesserlicher weltfremder Träumer eben.“
    „Aber was wollte er hier auf der Demonstration?“
    „Ich würde mich nicht wundern, wenn er versucht hätte, die Leute für einen Retaminverzicht zu gewinnen, damit alle Seelen aus dem Hades befreit werden können.“
    „Meinst du wirklich, dass sich jemand mit so einem Ansinnen vor eine retaminhungrige Menge stellt?“, zweifelte Sando.
    „Ich trau es ihm zu …“
    „Das ist doch mutig, oder?“
    In Sandos Worten schwang ein Anflug von Achtung für den Alten mit.
    „Ich weiß nicht. Eher dumm …“, widersprach Ben. „Mit seinem Unsinn hat er die Stimmung aufgeheizt.“
    „Du meinst also, er wäre schuld an der Katastrophe?“
    „In gewissem Sinne schon.“
    „Aber er hat die Kugeln nicht geworfen“, wandte Sando ein.
    „Er hat sie dazu angestachelt.“
    Irgendetwas in dem Jungen wehrte sich, es so zu sehen wie Ben. Waren die Kugelwerfer nicht selbst verantwortlich für ihr Tun? Ihm fiel ein Vergleich ein.
    „Sag mal, Ben“, begann er, „als ich mit Maria in Marokko unterwegs war, ist sie oft von Männern belästigt worden.“
    „Kein Wunder“, zirpte Ben. „Sie ist eine schöne Frau. Aber warum kommst du jetzt damit?“
    „Ist Maria schuld an den Pöbeleien gewesen, weil sie die Männer mit ihrer Schönheit angestachelt hatte?“
    „Natürlich nicht.“
    Ben stutzte. Dann begriff er, was Sando sagen wollte.
    „Der Vergleich hinkt etwas. Wer sich an die Öffentlichkeit wendet, sollte schon wissen, was er tut. Es hat Folgen, wenn man in der falschen Situation …“
    Ben konnte den Gedanken nicht zu Ende führen, denn Denise drängte zum Aufbruch.
    „Gleich wird es hier wimmeln von KORE-Leuten“, sagte sie. „Lasst uns zum Quartier fahren!“ Und mit einem Blick auf die Uhr setzte sie hinzu: „Es ist zwar noch ein wenig früh, aber man wird uns schon nicht wegschicken.“
    Ihre sonst so kräftige, beinahe schrille Stimme klang auf einmal ungewohnt matt.
    Gregor horchte auf. „Denise, ist etwas mit dir?“
    Auf ihrer Stirn glänzte kalter Schweiß.
    „Ach nichts … Ich fühle mich nicht so … Aber das geht vorüber …“
    Sando, Gregor und Nabil sahen sie besorgt an. „Bestimmt die Aufregung. Es war ziemlich heftig eben“, vermutete Nabil. „Vielleicht solltest du dich ein Weilchen auf den Rasen legen.“
    „Lasst gut sein! Wir nehmen uns jetzt ein Mobil und fahren zum Quartier. Dort erwartet uns mein Vater.“
    Denise versuchte, mit betonter Geschäftigkeit ihren Zustand zu überspielen, doch richtig überzeugend wirkte sie nicht auf ihre Freunde.
    Der Gleiter jagte über den Häuserzeilen dahin und bot grandiose Ausblicke auf das schöne Paris. Doch die Insassen hatten keinen Sinn dafür. Das Geschehen am Eiffelturm bedrückte sie und sie befürchteten, dass es nur der Vorgeschmack viel mächtigerer Unruhen war, die dem retaminhungrigen Katharsia blühten. Hinzu kam, dass sich Denises Zustand zusehends verschlechterte. Nur der Umstand, dass sie die Zieladresse in wenigen Sekunden erreichen würden, hielt sie davon ab, den Notschalter im Schwebemobil zu betätigen.
    „Wenn wir jetzt ein Verkehrschaos auslösen, kommt die Hilfe auch nicht schneller“, meinte Gregor wohl zu Recht.
    Sando hielt Denises Kopf in seinem Schoß. Sie atmete schwer, ihre Augen zuckten. „Halte durch, Denise! Kannst du mich hören? Bitte … sag, dass du durchhältst!“
    Der Junge wollte Denise zu einer Reaktion bewegen, doch ihr Kopf schwang nur willenlos hin und her. Auch ihr Atem wurde immer flacher.
    „Was kann das sein? Man stirbt doch nicht so mir nichts, dir nichts!“, rief Sando verzweifelt.
    Ben lugte aus dem Rucksack heraus und warf einen Blick auf Denise. „Wir sollten ihren Vater anrufen, damit er Hilfe holt“, zirpte er.
    Nabil holte aus Denises Tasche das Mobiltelefon und fingerte mit seinen Pranken auf den kleinen Tasten herum. Schließlich war jemand in der

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