Katharsia (German Edition)
sie jetzt größer denn je.
Das Gefühl der Freiheit, das sie bei der Ankunft in Paris erfüllt hatte, wich wieder jener Anspannung, die aus dem Bewusstsein erwuchs, verfolgt zu werden.
„Sie werden alles tun, um weitere Enthüllungen zu verhindern“, sagte Gregor nachdenklich.
Ein Geräusch ließ sie aufhorchen. Es kam aus der Ferne und klang wie der enttäuschte Aufschrei des Publikums bei einem Fußballspiel.
Wenige Augenblicke später wiederholte sich das Geräusch.
„Es kommt vom Eiffelturm“, sagte Gregor. „Es müssen die Demonstranten sein.“ Mit ungutem Gefühl blickten alle zu dem hoch aufragenden Giganten aus Edelstahl. Waren es Engel, die da vor der gleißenden Konstruktion kreisten? Aus der Ferne war es schwer auszumachen.
„Lasst uns ein wenig näher herangehen“, schlug Sando vor.
„Im Gegenteil“, widersprach Gregor. „Lasst uns schleunigst von hier verschwinden!“
Denise schlug sich auf Sandos Seite: „Ich denke, sie haben jetzt anderes zu tun, als nach uns zu fahnden.“
Ihr Tonfall verriet Neugier.
„Bitte, Denise, sei vernünftig!“, redete ihr Gregor ins Gewissen. „Dort liefert sich das KORE eine Straßenschlacht mit aufgebrachten Menschen.“
„Ich will ja nicht mitmachen“, sagte Denise störrisch, „nur ein wenig näher heran.“
„Und was, wenn sie uns doch erkennen?“, brummte Nabil.
„Ihr seid langweilig. Erst nehmt ihr das dicke Schwebemobil, damit es eure Hintern auch schön bequem haben, und jetzt flieht ihr vor einer Gefahr, die keine ist.“
Nabil bezähmte sich mühsam und starrte finster vor sich hin. Auch Sando schwieg, doch insgeheim gab er dem kleinen Engel Recht. Schließlich versuchte Gregor zu vermitteln. „Also gut, gehen wir ein wenig näher heran, aber wir halten uns abseits des Geschehens. Und beim geringsten Anzeichen einer Gefahr …“
Er sprach nicht zu Ende, denn es war allen klar, was er meinte.
Denise atmete tief durch. „Na dann, lasst uns gehen!“
Je näher sie dem Eiffelturm kamen, desto öfter wehte ihnen der Wind die Geräusche der erregten Menschenmenge entgegen. Sie hielten sich auf der breiten Allee. Dort waren sie mit vielen anderen unterwegs, was ihnen, so hofften sie, einen gewissen Schutz bot.
In einiger Entfernung vor ihnen tauchte eine Straßensperre auf. Unmittelbar dahinter wogte ein Meer von Demonstranten. Der Lärmpegel stieg.
„So, keinen Schritt weiter!“, sagte Nabil und hielt seine Gefährten zurück.
Denise blickte angestrengt zur Sperre hin und sagte dann: „Es sind keine KORE-Leute. Dort steht die Polizei und von der haben wir nichts zu befürchten, oder?“
„Eigentlich nicht“, gab Nabil zögernd zu.
„Dann können wir ja hingehen.“
Denise ging weiter.
Sando folgte ihr, ohne zu zögern, sodass sich Gregor und Nabil notgedrungen anschlossen. Bald verstanden sie die Rufe der aufgebrachten Menschen hinter der Polizeisperre. „Nieder mit dem Ballonkopf!“, schrien sie immer wieder. Und: „Hände weg vom Retamin!“
Sando duckte sich instinktiv, als er über den Massen KORE-Engel kreisen sah.
Denise hatte seine Reaktion bemerkt.
„Es ist ausgeschlossen, dass sie sich für uns interessieren“, rief sie ihm zu.
Jemand sprach über Lautsprecher zu den Leuten, immer wieder unterbrochen von wütendem Geschrei, doch von dem Redner war hier an der Absperrung nichts zu sehen. Sando blickte sich suchend um und entdeckte einen Baum, der sich als Aussichtspunkt eignete. Er gab Denise ein Zeichen, damit sie wusste, was er vorhatte.
Wenig später saß er auf einem stabilen Ast. Jetzt konnte er den Redner sehen. Auf dem Sockel eines Denkmals, das sich über dem Platz erhob, stand ein alter Mann mit schlohweißem, langem Haar. Sando hatte den Eindruck, der Mann sagte den Leuten etwas, was sie nicht hören wollten. Er erntete Buh-Rufe und Pfiffe. Der Alte hob beschwörend seine Arme, es wirkte wie eine inständige Bitte, ihm zuzuhören. Doch das Geschrei verstärkte sich, nahm den Ton des Hasses an. Jemand warf etwas nach ihm, einen kleinen Gegenstand, der silbern in der Sonne glänzte. Er flog dicht an dem weißen Schopf des Alten vorbei und zerschellte am Gestein des Denkmals. Daraufhin stieg ein kleiner Nebelschwaden auf.
Eine Wunschkugel , schoss es Sando durch den Kopf.
Die Ereignisse auf dem Platz begannen zu eskalieren. Der Angriff auf den Weißhaarigen wirkte wie ein Signal. Es hagelte Kugeln. Es mussten Hunderte sein, die an dem Denkmal ihr Retaminwölkchen freisetzten. Kurze Zeit
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