Katharsia (German Edition)
spürte die angespannte Atmosphäre. „Ich hoffe, ich störe nicht. Ich komme gern später noch einmal wieder.“
„Nein, nein, nicht nötig, Herr Vitelli“, sagte Ben rasch. In seinen Körper, eben noch zusammengesunken und schlaff, kehrte die Spannung zurück.
Er stand auf und eilte dem Ankömmling entgegen. „Schön, dass Sie da sind!“
„Was ist denn los mit Ihnen?“, fragte der Fremde. „Dieser Tag verdient bessere Laune.“
„Ein kleiner Streit unter Freunden …“ Ben warf einen vielsagenden Blick auf Sando.
Der wich dem Blick aus. Ein kleiner Streit , dachte er bitter und bemerkte, dass Gregor verstohlen seine Tränen trocknete.
„Darf ich fragen, worum es bei dem Streit ging?“
Der Ton des Fremden verriet professionelle Neugier. Fehlt nur noch, dass er ein Notizbuch zückt , dachte Sando.
„Sie werden es nicht glauben, Herr Vitelli“, antwortete Ben, „es ging um nichts Geringeres als das Schicksal Katharsias.“
Der als Vitelli Angesprochene lachte verschmitzt. „Ein würdiges Thema für diese außergewöhnliche Runde.“
Er deutete eine Verbeugung in Richtung der Gefährten an und Denise hielt es nicht länger auf ihrem Platz. Nachdem sie dem durchaus attraktiven Vitelli mit einem Augenaufschlag die Hand gereicht hatte, wandte sie sich an Sando.
„Darf ich dir Herrn Vitelli von der ,Katharsia TIMES‘ vorstellen. Enzo Vitelli. Du hast sicher schon von ihm gehört.“
Sando schüttelte den Kopf. „Sollte ich?“
„Er ist noch neu hier“, entschuldigte sich Denise bei Vitelli. „Also … Enzo Vitelli ist Chefredakteur der ,Katharsia TIMES‘. Außerdem moderiert er das bekannte Fernsehmagazin ,Punkt‘. Die Sendung ist so …“
Der kleine Engel suchte nach passenden Begriffen, mit den Händen Großes andeutend, doch die rechten Worte wollten ihr nicht einfallen. Schließlich gab sie es auf und sagte mit einem Seufzer: „Jedenfalls verpasse ich keine Folge, wenn es geht …“
„Ich hatte bisher keine Zeit zum Fernsehen“, versetzte Sando ein wenig störrisch.
„Ich habe auch gar nicht damit gerechnet, dass du mich kennst“, sagte Enzo Vitelli freundlich und streckte Sando die Hand entgegen. „Freut mich, dich kennenzulernen. Einen Auvisor trifft man wahrlich nicht alle Tage.“
Sando nahm ein wenig befangen die Hand. Was hatten seine Gefährten noch alles von ihm erzählt?
Ben spürte Sandos Reserviertheit. „Es war Herr Vitelli, der als Chefredakteur der ,Katharsia TIMES‘ entschieden hat, unser Material zu veröffentlichen“, erklärte er.
„Er hat unser Vertrauen verdient“, bestätigte Nabil in tiefstem Bass.
Jetzt erst betrachtete Sando sein Gegenüber genauer. Ein jungenhaft wirkender Mann, dessen Alter man schwer schätzen konnte. Leicht abstehende Ohren ragten aus seinem schmal geschnittenen Kopf und sorgten für eine sympathische Unvollkommenheit. Die gleiche Wirkung ging von seiner Kleidung aus, einem hellgrauen Anzug, den er mit selbstverständlicher Lockerheit trug, und einer Krawatte, die alles andere als förmlich wirkte. Lässig baumelte sie vom geöffneten Hemdkragen herab und ihr Blau korrespondierte mit der Farbe seiner Augen.
Dem Namen nach Italiener, aber blaue Augen , dachte Sando belustigt. Das Gift, das seit dem Streit mit Ben seinen Körper zu lähmen schien, verlor allmählich seine Wirkung.
„Ich schlage vor, du ziehst dich erst einmal richtig an.“ Denise zeigte auf Sandos nackte Füße. „Dann verschwinden wir aus diesem belagerten Haus.“
„Wo soll es denn hingehen?“, wollte Sando wissen und zog die Socken aus seinen Hosentaschen.
„Überraschung“, flötete Denise.
Zehn Minuten später verließen sie das Klinikgebäude durch den Hinterausgang. Über Sandos Schulter hing der kokongefütterte Rucksack, in den er eilig seine Sachen gestopft hatte. Auch seine Gefährten trugen ihr Gepäck bei sich.
Auf dem Hof der Klinik erwartete sie ein Schwebemobil, wie es Sando noch nie gesehen hatte. Ein ungewöhnlich großes, dennoch elegantes und windschlüpfriges Projektil, das den Eindruck erweckte, es könnte sämtliche Geschwindigkeitsrekorde brechen. „Katharsia TIMES“ stand in großen Lettern auf der gleißenden Außenhaut und innen war das Geschoss fast so geräumig wie ein kleiner Linienjet.
„Ein Interkontinentalgleiter“, flüsterte Denise beim Einsteigen beeindruckt.
Vorn beim Cockpit waren sechs Sitze kreisförmig angeordnet, wahrscheinlich gedacht für kleine Konferenzen an Bord. Dorthin führte sie
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