Katharsia (German Edition)
Satz war Doktor Fasin bei dem Reporter und packte ihn so heftig am Kragen, dass der Stoff seines Hemdes mit einem hässlichen Geräusch riss. Der Sicherheitsmann, der den Arzt eben noch besänftigt hatte, konnte nur mit Mühe verhindern, dass er auf den sensationsgierigen Fotografen einschlug.
„Ich werde dich vernichten, du Ratte!“, zischte er und stopfte dem Reporter das Wrack seines Fotoapparates in das zerfetzte Hemd. Der antwortete mit einem dreisten Grinsen.
Die Wachmänner führten ihn rasch hinaus, bevor sich Doktor Fasin erneut auf ihn stürzen konnte.
Als das Ziel seines Zornes außer Reichweite war, beruhigte er sich endlich.
„Entschuldige, Sando“, murmelte er, „ich hätte besser kühl bleiben sollen.“
„Schon gut, Herr Doktor“, wehrte Sando ab.
„Also dann … es ist höchste Zeit. Ich müsste längst weg sein. Behalte mich nicht in schlechter Erinnerung.“
Mit diesen Worten war der Doktor aus der Tür und Sando, sehr nachdenklich, suchte in dem Chaos von Kamerateilen am Boden nach seinen Socken. Er entdeckte sie unter der Heizung am Fenster.
Ob draußen noch immer Reporter lauerten?
Rasch lief er durch das Krankenzimmer und stellte sich in den Schutz des Gardinenstreifens, der an der Seite des Fensters herabhing. Unten auf der Straße erspähte er ein blaues Einsatzfahrzeug der Polizei. Zwei Beamte standen an die Seitenfront gelehnt, Sando den Rücken zugekehrt, und unterhielten sich. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite lungerten einzelne Gestalten herum, zu ihren Füßen große Taschen, wie sie Fotografen für ihre Ausrüstung benutzten. Mit ungerührter Miene blickten sie einem rot-grünen Gleiter der Gefahrenabwehr nach, der eben mit kreiselndem Lichtsignal an ihnen vorbeijagte. Sando glaubte, den verhafteten Eindringling im Fonds des Wagens zu erkennen.
„Komm besser vom Fenster weg, Junge.“ Es war die freundliche Stimme der Schwester, die eben das Zimmer betrat.
„Deine Freunde werden gleich hier sein, um dich abzuholen. Wir mussten sie durch den Hintereingang hereinlotsen.“
Ihre Ankündigung war kaum verklungen, da sah Sando auch schon die bekannten Gesichter in der Tür. Denise stürmte voran, gefolgt von Ben, Gregor und Nabil.
„Na, mein Kleiner? Wir haben gute Neuigkeiten für dich“, plapperte Denise schon im Gehen und setzte sich mit einem kleinen Hopser, bei dem sie zur Unterstützung die Flügel flattern ließ, auf die Bettkante.
Sando verdrehte die Augen wegen der Anrede, was Denise jedoch nicht sehen konnte, weil er sich gleichzeitig unter dem Fenster wegduckte, um unbemerkt von den Reportern zu seinen Gefährten zu gelangen. Bei dieser Gelegenheit fischte er seine Socken unter der Heizung hervor und stopfte sie umständlich in seine Hosentasche.
Ben musste lachen und umarmte Sando zur Begrüßung. „Na, dir scheint es ja wieder richtig gut zu gehen … Doktor Fasin ist uns vorhin über den Weg gelaufen. Er wirkte so hektisch, dass wir schon das Schlimmste befürchtet haben.“
„Er war spät dran. Jetzt dürfte er schon auf dem Weg nach Makala sein“, erklärte Sando und sah Ben schuldbewusst an.
„Was ist los? Was ist schon dabei, dass der Doktor abgereist ist. Hauptsache, dir geht es gut.“
„Fatima war mit ihm hier.“
Bens heiteres Jungengesicht verdüsterte sich mit einem Schlag. „Du meinst, Djamila?“
„Ja … falls sie es ist …“
„Ich weiß, dass du mir nicht glaubst“, sagte Ben finster. „Trotzdem hättest du es mir sagen können.“
„Ich hab es versucht, gestern beim Abschied. Aber du hast nicht zugehört“, entschuldigte sich Sando, doch Ben starrte nur weiter vor sich hin. In seinem Gesicht arbeitete es.
„Du hättest darauf bestehen müssen, dass ich zuhöre. Du bist doch sonst nicht so schüchtern.“
„Was soll das heißen?“, fuhr Sando auf. „Du hast einfach die Tür zugeknallt. Hätte ich dir nachrennen sollen?“
„Warum nicht?“, raunzte Ben zurück. „Du wusstest doch, wie wichtig mir die Sache ist.“
„Na, prima! Jetzt bin ich schuld, dass sie so plötzlich abgereist sind, ja?“
Sando war nun ernstlich in Rage geraten. Sicher hätte er auf den greisen Ben Hakim anders reagiert, doch von einem Jungen seines Alters ließ er sich das nicht bieten.
Und auch Ben schien die abgeklärte Weisheit abhanden gekommen zu sein. Er sah rot.
„Stundenlang haben wir gestern an deinem Bett gesessen. Du hättest nur eine Silbe sagen müssen. Aber was andere fühlen, interessiert dich offenbar
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