Katharsia (German Edition)
und du kennst sogar den Hausherrn. Es ist Doktor Fasin!“
Sando freute sich. Damit hatte er nicht gerechnet. Das Anwesen des Doktors war ihm noch gut in Erinnerung: eine Oase in der Wüste mit einem Schloss, das alles bot, was das Leben angenehm machte.
Bevor sie Battonis Appartement verließen, trat Sando noch einmal an die großzügige Glasfront und ließ das New Yorker Stadtbild auf sich wirken. Überall jagte dichter Gleiterverkehr durch die Hochhausschluchten.
Wie pulsierendes Blut in den Adern , dachte er. Ein lebender Organismus.
Gern hätte er länger hier gestanden und geschaut, doch der Präsident und der Offizier der Gefahrenabwehr waren schon vorausgegangen und warteten sicher bereits am Ausgang der geräumigen Suite auf ihn. Raschen Schrittes lief er ihnen nach. Als er an dem Konzertflügel vorbeikam und sein neugieriger Blick die Noten streifte, die dort aufgeklappt standen, hielt er plötzlich inne. Er hatte etwas entdeckt, was seine Aufmerksamkeit fesselte: Auf dem Notenhalter lag eine reich verzierte historische Waffe. Sie diente offenbar dazu, die Seiten der dicken Partitur festzuhalten.
Er trat näher.
„Sando, wo bleibst du?“
„Ich komme sofort!“
Er konnte die Augen nicht von dem Prunkstück lassen. Er nahm es und schaute nach der Gravur auf der Klinge. „Kilidsch Arslan“ stand dort geschrieben.
Sando war wie elektrisiert. Was er in den Händen hielt, war ohne Zweifel der Seldschukendolch! Jene Waffe, die Bens Freund Achmed gehört hatte, bis er in die Gewalt Wolfenhagens geraten war! Der Kreuzfahrer hatte Achmed den Dolch abgenommen. Sando fragte sich, wie dieses edle, mit Diamanten besetzte Stück zu Battoni kam.
Rasch versteckte er den Dolch unter seinem Hemd.
„Leg ihn zurück!“ Wanderer stand plötzlich hinter ihm. „Wie kommst du dazu, hier etwas zu stehlen?“
Sando holte die Waffe aus seinem Hemd hervor und legte sie wieder auf den Notenhalter zurück. „Ich stehle nicht. Der Dolch gehört nicht Battoni, er gehört Achmed.“
„Welchem Achmed?“
„Sie haben sein Bild gesehen … im Schattenhain … das Bild neben Ben und Gregor.“
Sando blieb nichts anderes übrig, als dem Präsidenten die Geschichte der Freunde Ben, Gregor und Achmed in Jerusalem zu erzählen.
Wanderer, der eben noch zur Eile gedrängt hatte, nahm sich jetzt Zeit. Aufmerksam lauschte er dem Bericht von den mordgierigen Kreuzfahrern und von Wolfenhagen, dem dämonischen Führer, der sich nicht scheute, das Fleisch seiner Feinde zu verzehren.
Als Sando geendet hatte, fragte Wanderer: „Könnte es nicht sein, dass die Waffe von Ben oder von Achmed stammt? Immerhin kannten sie das irdische Original und hätten es mit ein wenig Retamin und Vorstellungskraft reproduzieren können.“
Sando schüttelte den Kopf. „Ben hat mir mal erzählt, dass sie es beide tatsächlich versucht haben. Das Ergebnis muss aber jämmerlich gewesen sein.“
Sando nahm den Dolch vom Notenpult.
„Dieser ist dagegen hervorragend gelungen.“
„Du meinst, er kann nur von jemandem stammen, der ihn sehr genau kannte?“
Sando nickte und sagte: „Wolfenhagen.“
Wanderer überlegte laut: „Nehmen wir an, du hättest Recht, Sando. Bei den Untaten dieses Herrn ist es schwer vorstellbar, dass er nach Katharsia gekommen ist. Höchstwahrscheinlich schmort seine Seele im Hades. Und jetzt taucht die Kopie seines Dolches plötzlich hier auf … Merkwürdig!“
Sando drehte nachdenklich die Waffe in den Händen. Kleine Lichttüpfel, Reflexe der Edelsteine, wanderten über sein Gesicht.
Wanderer betrachtete den Jungen, der vor ihm auf der Klavierbank saß, und sagte unvermittelt: „Du sollst ein guter Pianist sein.“
Sando sah überrascht auf. „Wer sagt das?“
„Deine Gefährten haben es mir erzählt, nachdem du dich wütend ins Kornfeld zurückgezogen hattest. Sie baten um Nachsicht für eine sensible Künstlerseele.“
Wanderer sagte dies ohne eine Spur von Spott.
Freilich schmeichelte es Sando, als Künstler bezeichnet zu werden, dennoch wehrte er bescheiden ab. „Ich spiele nur so aus Spaß. Na ja … und natürlich immer dann, wenn ich …“
Er unterbrach sich, denn mit dem, was er sagen wollte, hätte er zu viel von seinen Gefühlen preisgegeben.
Doch Wanderer hatte ihn auch so verstanden.
„Die Musik hilft dir, wenn du traurig oder verzweifelt bist, nicht wahr?“
Sando widersprach nicht. Konzentriert betrachtete er den Dolch in seiner Hand.
Wanderer, der nicht weiter in den Jungen dringen
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