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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
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klangen auf den abgeknickten Halmen, als trüge jemand Schellen an den Füßen.
    Sando richtete sich auf. Heide Brandau war der Spur der Verwüstung im Kornfeld gefolgt und näherte sich ihm behutsam wie einem verwundeten Tier. Ungeachtet ihres eleganten Kleides hockte sie sich zu ihm auf den Boden und wartete. Sando sah sie nicht an. Verstohlen wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht.
    Daraufhin begann sie leise, von sich zu erzählen. „Weißt du, Sando, als ich nach Katharsia kam, war ich jünger als du, noch ein Kind, aber sicher nicht weniger verzweifelt.“
    Ihre warme Stimme fing ihn ein, umhüllte ihn wie ein feines Gespinst, in dem er sich geborgen fühlte.
    „Damals habe ich nicht begriffen, warum mich meine Mutter ins Seelenreich geschickt hat. Ich kam hier an, einsam, ein schreiendes Bündel Angst.“
    Es gab ein zartes Klingen, als Sando den Kopf aus den metallenen Ähren hob.
    „Ihre Mutter hat Sie …?“
    „Ja, meine Mutter.“
    „Aber … warum?“ Was Heide Brandau ihm da eröffnete, überstieg Sandos Vorstellungskraft. Sein Tod durch die Hand eines Geiselnehmers war schrecklich, doch irgendwie erklärbar. Aber die eigene Mutter?
    „Ich glaube, sie hat es aus Liebe getan.“ Mrs. Brandau nahm einen abgerissenen Halm, der auf ihrem Kleid lag. „Es muss eine wahnsinnige Liebe gewesen sein, so stark, dass sie dafür ihr Kind geopfert hat.“ Sie sprach ruhig, ohne Bitternis.
    „Ich weiß nicht, wie sie da hineingeraten ist, aber sie gehörte zu den Treuesten der Treuen in der Bewegung, die für die Reinheit der Rasse kämpfte. Und als ihr sauberes Tausendjähriges Reich unterging, hat sie mich fortgeschickt, weil sie mich davor bewahren wollte, in einer schmutzigen Welt zu leben. Sie wollte mein Bestes, verstehst du, Sando?“
    Nein, er verstand gar nichts.
    „Wie können Sie das Liebe nennen?“
    „Irgendwie muss ich doch versuchen, damit klarzukommen. Als ich alt genug war in Katharsia, um zu begreifen, was geschehen war, entstand in mir ein unbändiger Hass. Ich habe ihn zugelassen – und mit der Zeit war er stärker als ich. Er hat mich zerfressen, bis ich nicht mehr konnte, und dann …“
    Sie knickte den Halm zwischen ihren Fingern und warf ihn weg.
    „So, wie du mich jetzt siehst, Sando … es ist mein zweiter Versuch, den Frieden zu finden.“
    Lange saßen sie stumm, hingen ihren Gedanken nach – und Sando fragte sich, welche Wege und Irrwege er würde gehen müssen in Katharsia.
    Die Sonne stand bereits tief, als er aufstand.
    „Auf in den Hades“, sagte er nur.
    Jetzt konnte er der Sache sogar eine gute Seite abgewinnen. Die Stadt, die dem finsteren Seelenverlies am nächsten lag, hieß Makala. Er würde zu Maria zurückkehren.
    Gemeinsam mit Heide Brandau stapfte er den Hügel hinauf. Dort fanden sie alle vollzählig versammelt. Selbst der Präsident war noch anwesend.
    „Schön, dass du wieder da bist“, begrüßte er den Jungen und bat ihn, sich zu setzen. Er schaute Sando kummervoll in die Augen und fragte: „Also, Sando, was muss ich tun, damit du mir hilfst?“
    Sando überlegte nicht lange. „Ich möchte, dass meine Freunde bei mir bleiben.“
    „Natürlich reisen sie mit dir nach Makala, aber …“ Der Präsident dachte nach. „Sie werden nicht mit dir in den Hades gehen. Es wäre wenig hilfreich.“
    Sandos Blick verfinsterte sich.
    „Ich gebe dir jemanden an die Seite, der sich dort bestens auskennt“, beeilte sich Wanderer zu versichern. „Vertrau mir! Bitte!“
    Na gut , dachte Sando. Hauptsache, nicht allein dort hinunter in die Hölle! Er nickte zustimmend.
    Wanderer wirkte sichtlich erleichtert. Er erhob sich und bat darum, ihn nun zu entschuldigen, denn leider stünden noch weitere Termine an.
    Heide Brandau hielt ihn zurück. „Herr Wanderer“, sagte sie, „was ist mit Battoni?“
    „Ach ja, beinahe hätte ich es vergessen …“ Er wandte sich an Sando. „Eine Bitte noch, Sando. Bisher war es uns noch nicht möglich, Battoni zu verhören. Seine Seele ist hier in New York. Wir brauchen deine Hilfe als Auvisor. Bitte, halte dich morgen Nachmittag bereit. Ein Offizier der Gefahrenabwehr wird dich abholen.“
    Gregor schaute Sando mitfühlend an. „Also … ich möchte nicht Auvisor sein.“
    Wanderer, schon im Gehen, verhielt den Schritt, als er dies hörte. „Es tut mir leid, Sando, ich würde es dir gern ersparen. Aber deine außergewöhnliche Fähigkeit bedeutet auch eine große Verpflichtung. Ich bin mir jedoch sicher, deine Gefährten

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