Katharsia (German Edition)
förmlich ansprechen musste.
„Danke, Ben“, erwiderte Fatima. „Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: Doktor Fasin hat mich geschickt. Ihn interessiert vor allem, wie es Sando geht. Es war nicht leicht für ihn heute.“
Ben seufzte. „Das kann man wohl sagen.“
„Wo ist er denn?“ Fatima blickte sich suchend um.
„Irgendwo im Wasser“, sagte Ben, den es ein wenig wurmte, dass Fatima nicht seinetwegen gekommen war.
„Doch nicht etwa dort drüben unter der Gischt?“ Fatima lachte fröhlich. „Dort ist er schon einmal hineingeraten. Das ist ein Seelenspiegel. Er setzt Gedanken in Bilder um.“ Sie zeigte hinüber. „Dort, sehen Sie!“
Und tatsächlich hatte sich die Gischtwolke zu einem bewegten Bild geformt. Ben, Gregor und Nabil trauten ihren Augen nicht, als sie sahen, was sich dort als Sandos Innerstes offenbarte.
„Was für ein Albtraum!“, sagte Ben und beobachtete entgeistert das Bild einer Seele, die wie gefesselt in einem merkwürdigen Kasten hing und sich vor Schmerzen wand.
„Vielleicht hat er Derartiges tatsächlich erlebt …“, entgegnete Gregor. Ben schaute mit Abscheu auf die grausame Szene und kam nicht umhin, Gregor und Nabil im Nachhinein Recht zu geben. „Sando sollte wirklich nicht allein dort sein.“
Dessen bildgewordener Albtraum ging nicht nur Ben, Gregor und Nabil an die Nieren. Auch Fatima war sehr schweigsam geworden. Stumm starrte sie auf die gequälte Seele, die sich aus der Gischt geformt hatte. Ihre Stirn umwölkte sich, die Miene vereiste. Sie wirkte wie abwesend.
Plötzlich lief sie – genauer: wandelte sie zu einer der Treppen, die ins Wasser führten, verharrte dort und begann etwas zu murmeln. Gregor machte Ben auf ihr seltsames Gebaren aufmerksam.
Ben näherte sich ihr besorgt. „Fatima?“
Sie reagierte nicht auf ihn.
„Sie sollen aufhören!“, sagte sie ein ums andere Mal.
Ben sprach sie erneut an. „Fatima, hören Sie mich? Wovon reden Sie?“
Doch ehe er es verhindern konnte, eilte sie in ihrem langen Kleid die Treppe hinunter, ins Wasser hinein und strebte auf das Nebelbild zu.
„Aufhören!“, rief sie immer wieder, das Wasser ausspeiend, das ihr in den Mund lief. „Aufhören!“
Die Gefährten sahen sich ratlos an. Ben strich sich mit dem Mittelfinger der rechten Hand über die Augenbraue.
„Was mag Sandos Traum in ihr ausgelöst haben?“
Kurz darauf waberte die Folterszene, wurde unscharf und brach dann vollends zusammen. Fatima hatte Sando aus seinen Erinnerungen gerissen. Er öffnete die Augen und kehrte langsam zurück aus dem Hades. Erleichtert erkannte er, wer ihn da in die Realität geholt hatte. „Fatima!“, überschrie er das Wasserrauschen.
Doch so, wie sie sich gebärdete, hatte er sie noch nie erlebt. Sie nahm keine Notiz von ihm und in ihrem Gesicht toste ein Sturm einander jagender Empfindungen: Hass, Angst, Schmerz und ohnmächtiger Zorn.
„Aufhören! Es tut so weh!“
Sie krümmte sich vor Schmerz. Sandos Versuch, sie fortzuziehen, sie aus dem Wasser herauszubringen, wehrte sie heftig um sich schlagend ab.
Sando schwamm zum Beckenrand, rief nach seinen Gefährten. Doch die rührten sich nicht von der Stelle, bedeuteten ihm gar zu schweigen.
„Sie braucht Hilfe, verdammt!“ Sando war außer sich.
Ben zeigte auf die Gischtwolke – und als sich Sando umdrehte, sah er, was in Fatima vorging. Klare Bilder wechselten in rascher Folge: ein Mann mit Turban und eine verschleierte Frau in der Tür eines ärmlichen Hauses, eine Straße in Jerusalem mit Blick auf die Al-Aksa-Moschee, eine üppig gedeckte Tafel, an der ein Mann in einem Kaftan saß, in dem Sando Bens Vater erkannte, die Frau daneben war unzweifelhaft seine Mutter, auch Ben, der Junge, tauchte auf.
Sando schaute zu Ben hinüber. Offenen Mundes betrachtete er den Film aus feinen Wassertropfen.
„Sie hat ihr Leben wiedergefunden“, sagte er ergriffen.
„Wolfenhagen!“, warf nun Gregor ein.
Aus der Gischt hatte sich der Kreuzfahrer geformt. Er stand vor einem rot-gelb gestreiften, spitzen Zelt, kam dann auf den Betrachter zu, bedrängte ihn lächelnd mit einem Dolch.
„Der Seldschukendolch!“
Das Bild verschwand, wurde verdrängt von einem staubigen Dorfplatz. Eine wütende Menge rottete sich zusammen. Männer reckten dem Betrachter ihre Fäuste entgegen.
„Das ist ihr Albtraum!“, rief Sando. „Sie hat mir davon erzählt. Eine Horde aufgebrachter Männer mit Turbanen, die ihr drohen.“
„Djamilas Vater ist darunter“, sagte Ben
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