Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
Vom Netzwerk:
verschwanden die beiden einige Meter weiter durch die Decke.
    „Na, hast du Seelen gesehen?“, fragte Kazim, der Sandos Schreck bemerkt hatte.
    „Ja, sie kamen aus der Wand. Sind denn die Räume nicht mit Kokon gesichert?“
    „Nein, nur die Außenwände des Schlossflügels. Hier drin können sich die Seelen frei bewegen. Das gehört zum Prinzip des Hauses.“ Paradiesische Zustände, verglichen mit dem Hades , dachte Sando und nahm die Treppe zum Obergeschoss, während Kazim fortfuhr, den Gang zu reinigen.
    Oben fand der Junge eine Tür mit der Aufschrift „Sprechzimmer“ . Sie wies den typischen Kokonschimmer auf. Ebenso die umliegende Wand. Offenbar wollte Doktor Fasin sicherstellen, dass er während einer Behandlung nicht von mauerwerkdurchdringenden Seelen gestört wurde.
    Sando klopfte an und öffnete vorsichtig die Tür. Das Sprechzimmer wies die gleiche orientalische Gemütlichkeit auf wie das Mitlesezimmer, das ihm Kazim gezeigt hatte. Doktor Fasin hatte es sich zwischen einigen Kissen am Boden bequem gemacht. Vor ihm stand ein kleiner Monitor, so unauffällig, dass er das Ambiente kaum störte. Die Seele, die er behandelte, eine Frau, lag etwas abseits. Jedenfalls erweckte sie den Eindruck des Liegens, so knapp schwebte sie über einer Fläche bunt bestickter Kissen. Links und rechts ihres Kopfes ragten zwei Metallstäbe aus dem weichen Untergrund, Elektroden, die den Monitor des Doktors mit Signalen der Patientin versorgten.
    Konzentriert auf den Schirm starrend, sagte der Doktor leise: „Komm herein, Fatima, ich bin gleich so weit.“
    Sando trat näher und setzte sich.
    Jetzt erst bemerkte der Doktor seinen Irrtum.
    „Ach, du bist es, Sando. Einen kleinen Moment bitte.“
    Er wandte sich wieder dem Monitor zu.
    Sando stutzte. Auf dem Gerät waren er und der Doktor zu sehen. Sie saßen beieinander in dem orientalischen Sprechzimmer, in dem sie sich gerade aufhielten. Sando begriff, dass es die Seele war, die sie so sah.
    „Bitte schließen Sie die Augen wieder und konzentrieren Sie sich“, forderte der Doktor die Patientin auf. Das Bild wurde unscharf. Nur Sandos Gesicht stach deutlich hervor.
    „Siehst du, Sando? Sie hält die Augen geschlossen“, flüsterte der Doktor. „Dennoch bist du auf dem Schirm zu sehen. Du musst einen großen Eindruck auf sie gemacht haben.“
    Er lächelte ihn verschmitzt an und wandte sich dann mit sanfter Stimme an seine Patientin: „Bitte, Sandra, richten Sie Ihre Gedanken jetzt nicht auf unseren Besucher. Ich gebe zu, ein neues Gesicht in dem tristen Alltag ist ein Ereignis, aber versuchen Sie jetzt dort anzuknüpfen, wo wir aufgehört haben.“
    Auf dem Schirm erschien eine belebte Straßenszene aus der Sicht eines Passanten, der an Geschäften vorbeischlenderte.
    „Gut so, Sandra, Sie erinnern sich doch!“, ermunterte Doktor Fasin die Frau. „Das pulsierende Leben ist in Ihnen.“
    Ein junger Mann löste sich aus der Menschenflut, kam auf den Betrachter zu. Er trug Sandos Gesichtszüge, war aber deutlich athletischer gebaut. Seine muskulösen Oberarme spannten den Stoff des Hemdes.
    Doktor Fasin sah Sando schmunzelnd an. „Sie bringt in ihrer Fantasie offensichtlich einiges durcheinander“, raunte er. „Aber warum nicht? Es ist gut gegen die Schwermut …“
    Als der kraftstrotzende junge Mann die Betrachterin an sich zog, betätigte Doktor Fasin einen kleinen Schalter am Monitor, stand leise auf und bedeutete Sando, mit ihm das Sprechzimmer zu verlassen.
    Draußen sagte er: „Ich lasse sie noch ein Weilchen träumen. Es tut ihr gut.“
    Obwohl Sando ein wenig verlegen war wegen der unfreiwilligen Rolle, die er in der Fantasie der Patientin gespielt hatte, sagte er anerkennend: „Ich glaube, die Seelen haben es gut bei Ihnen.“
    Während sie den Schlossflügel durch die Schleuse verließen und hinaus in die Abenddämmerung traten, erkundigte sich Doktor Fasin nach Sandos Befinden.
    Der nutzte die Gelegenheit, ihn auf Djamila anzusprechen.
    „Danke, Herr Doktor, es geht mir gut – besser jedenfalls als Djamila.“
    Doktor Fasin verhielt seinen Schritt.
    „Djamila?“ Er musterte Sando mit durchdringendem Blick. „Wie es scheint, hat Fatima ihren richtigen Namen wiedergefunden.“
    „Nicht nur das. Sie weiß jetzt auch, dass sie im Hades war.“
    „Tatsächlich?“ Doktor Fasin brauchte einen Moment, um diese Nachricht zu verdauen.
    „Warum haben Sie Djamila als Ihr Wunschwesen ausgegeben?“
    Auf diese Frage hin atmete der Doktor hörbar ein

Weitere Kostenlose Bücher