Katharsia (German Edition)
dumpf. „Und ihre Brüder.“
Aus den Fäusten lösten sich Gegenstände. Sie flogen auf den Betrachter zu.
Ben wurde bleich. „Oh … Allah …“, hauchte er. „Sie haben sie gesteinigt!“
Das Bild verschwamm. Aus der Gischt hörten sie Fatima schluchzen.
Ben sprang kopfüber ins Wasser. Sando folgte ihm. Gemeinsam holten sie die Erschöpfte aus dem Bassin, stützten sie auf dem Weg zum Liegestuhl. Ihr nasses Kleid klebte am Körper, hinterließ eine Tropfenspur.
„Schon gut“, sagte sie, als Ben und Sando sie auf eine Liege betten wollten, und nahm mit müder Geste ihre Arme von den Schultern der beiden Jungen.
Matt lächelnd wie eine Genesende, die eine schlimme Krankheit überstanden hat, blickte sie an sich herab.
„Das Kleid … es ist wohl ziemlich nass geworden …“
Sie wandte sich an Ben, sah ihm unverwandt in die Augen.
Er hielt den Atem an. War der Moment gekommen?
Doch sie sagte nur: „Die Knöpfe sind hinten. Bitte hilf mir, Ben.“
Sein Gesicht verriet Enttäuschung.
„Natürlich … Fatima.“
Mit fahrigen Fingern begann er, die Reihe kleiner, runder Knöpfe auf ihrem Rücken aufzupuzzeln.
„Fatima?“, fragte sie über die Schulter hinweg. „Seit wann sagst du Fatima zu mir, Ben?“
Der riss vor Überraschung einen Knopf ab.
„Djamila!“, sagte er und in dem einen Wort klangen neunhundert Jahre Hoffen und Bangen mit.
Er drehte sie zu sich um, nahm sie in die Arme und Sando, Gregor und Nabil wurden Zeugen einer berührenden Szene des Wiedererkennens.
Sando dachte mit Wehmut an Maria.
Nachdem sich Ben und Djamila wieder voneinander gelöst hatten, streifte sie endlich das tropfende Kleid ab. Zitternd stand sie da in nassen Badesachen. Sando reichte ihr ein Tuch. Sie hüllte sich ein und legte sich nieder. Die Erschöpfung war ihr anzusehen.
„Setz dich zu mir, Ben“, bat sie ihren alten Freund.
Mit weichen Knien kam er ihrer Aufforderung nach. Djamila griff nach seiner Hand. In ihrem Gesicht arbeitete es.
„Ich bin kein Wunschwesen“, drang es plötzlich aus ihr heraus. „Diese Seele in dem Folterkasten … Ich erinnere mich genau … Ich war im Hades … ich wollte fliehen und sie haben mich in den Kasten gesteckt …“
Sie hob die Hände vor die Augen. Ein gedehnter Klagelaut entwich ihrer Brust.
Ben strich ihr über das nasse Haar.
„Warum warst du im Hades, Djamila?“, fragte er, als sie sich wieder gefangen hatte. „Warum haben sie dich gesteinigt?“
„Ich war schwanger von Wolfenhagen“, kam es dumpf durch die vorgehaltenen Hände. „Die Ehre der Familie stand auf dem Spiel … Bis zum Hals haben sie mich auf dem Dorfplatz eingegraben. Weißt du, wie es ist, Ben, wenn man davonrennen möchte und sich nicht rühren kann?“
Ihre Stimme schnappte über.
Nach einigen Sekunden fuhr sie tonlos fort: „Dann haben mein Vater und meine Brüder getan, was zu tun war. Das ganze Dorf hat ihnen dabei geholfen, die Familienehre wiederherzustellen. Anschließend bin ich wegen des Verbrechens der unehelichen Schwangerschaft in den Hades gekommen.“
Djamilas Bericht folgte betroffenes Schweigen. Ungerührt spien die grotesken Fabeltiere Fontänen in die Luft. Ihr Rauschen dröhnte den Gefährten in den Ohren.
„Wie bist du freigekommen?“, fragte schließlich Ben.
„Ich weiß es nicht …“ Djamila dachte angestrengt nach. „Meine letzte Erinnerung an den Hades ist der Folterkasten. Danach bin ich in einem Klinikbett aufgewacht. Von da an hat sich Doktor Fasin um mich gekümmert.“
„Aber warum hat er dich als sein Wunschwesen ausgegeben?“
Djamila zuckte ratlos die Schultern. „Keine Ahnung. Ich werde ihn fragen. Sicher hat er gute Gründe dafür.“
Plötzlich setzte sie sich auf. „Oje! Doktor Fasin erwartet mich! Er will doch wissen, wie es Sando geht.“ Sie machte Anstalten, sich zu erheben. „Was soll ich ihm sagen, Sando?“
Der Junge winkte ab. „Wahrscheinlich geht es mir besser als dir, Fati… äh … Djamila.“
Ben warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
„Entschuldigung!“, murmelte Sando verlegen. „Ich habe sie nun mal als Fatima kennengelernt.“
Ben sagte nichts darauf.
„Willst du so zu Doktor Fasin gehen?“, wandte er sich an Djamila und deutete auf das Badetuch, das sie einhüllte.
Sie nickte matt. „Ich kann ihn nicht länger warten lassen.“
„Ich kann ihm doch selbst sagen, wie es mir geht“, bot Sando an, froh, seine Schlappe wieder gutmachen zu können. „Wo finde ich ihn denn?“
Djamila
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