Katharsia (German Edition)
es ihm, sie in ihrem krampfartigen Anfall von Selbstzerstörung unter Kontrolle zu bringen. Sando und Ben sahen auf die offenen Wunden, erschrocken darüber, was die Seelenmanipulation angerichtet hatte.
„Wie hieß der Arzt, der den Eingriff zu verantworten hat?“, fragte Ben. „Nicht etwa Professor Merlin?“
„Genau der“, bestätigte Achmed. „Kennst du ihn?“
„Wir hatten mit ihm in Paris zu tun. Zusammen mit Battoni wollte er unsere Erinnerungen auslöschen.“
Agila schien sich wieder im Griff zu haben. „Lass mich los, Achmed, ich bin auch ganz brav“, versprach sie abgekämpft.
Zögernd lockerte er seinen Griff.
Sie löste sich von ihm, öffnete ihre Handtasche und entnahm ihr ein Verbandspäckchen. Mit schmerzlich verzogener Miene beobachtete Achmed, wie routiniert sie sich den Verband anlegte. Als sie damit fertig war, streifte sie den Ärmel über und schaute hoch erhobenen Hauptes, beinahe trotzig, in die Runde.
„Nun wisst ihr also Bescheid. Ich hasse diesen Körper!“
Achmed versuchte einen Einwand. „Aber du kannst ihn doch nicht …“
„Ach, du verteidigst ihn!“, unterbrach ihn Agila. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. „Weißt du, Achmed, was das Schlimmste für mich ist?“
Sie machte eine Pause, ließ die Frage so lange im Raum stehen, bis es Achmed nicht mehr aushielt und bat: „Bitte, Agila, nicht vor den anderen …“
Vergebens. Sie sprach es aus, als wollte sie ihn ebenso verletzen wie sich selbst: „Das Schlimmste ist, Achmed, dass ich mir nicht sicher bin, ob du mich oder nur diesen schönen Körper begehrst.“
Sie blickte an sich hinab, als betrachtete sie eine Fremde, eine Konkurrentin.
„Das ist doch Unsinn, Agila!“, wehrte sich Achmed. „Alles, was ich wollte, war, dich aus diesem Kokon zu holen, dir zu helfen.“
Agilas Stimme schnappte über, als sie schrie: „Um mir zu helfen, schleppst du diese Schlampe an?!“
Ihre Finger krampften sich wieder zusammen. Doch bevor sich die Nägel erneut in die Haut graben konnten, war Achmed bei ihr. Sie rangen stumm. Zorn und Verzweiflung in den Gesichtern. Endlich gab Agila auf, schmiegte sich schluchzend an ihren Mann.
Sando war es unangenehm, Zeuge dieser Auseinandersetzung zu sein. Am liebsten wäre er davongelaufen, doch irgendetwas hielt ihn davon ab. Er ertappte sich dabei, dass er seit einiger Zeit auf den Boden starrte. Zu Füßen des erschöpften Paares lag Agilas Kette. Sie war zerrissen. Im Widerschein der Lampions funkelte der goldene Anhänger. Sando beschlich ein merkwürdiges Gefühl. Er konnte nicht sagen, woher es kam. Irgendetwas stimmte nicht mit dem Schmuck.
Sando bückte sich und hob ihn auf. Der Anhänger bestand aus einem weitmaschig gesponnenen Netz filigraner Goldfäden, die sich um einen runden Gegenstand spannten. Er schimmerte silbermetallisch und besaß ein Loch in der Mitte. Sando stutzte, traute seinen Augen nicht. Es war der Hühnergott!
Ihm entfuhr ein Laut der Überraschung.
„Was ist denn los?“, fragte Ben.
Sando drehte den Anhänger zwischen den Fingern, betrachtete ihn von allen Seiten.
„Der Hühnergott!“
Ben grinste matt. „Ist gut, Sando. Irgendwie ist mir gerade nicht nach Scherzen zumute.“
„Mir auch nicht“, entgegnete Sando und streckte ihm die Kette hin.
Ben nahm sie und beäugte sie argwöhnisch.
„Das kann nicht sein“, sagte er. „Das ist unmöglich.“
„Aber du siehst ihn doch – oder nicht?“, fragte Sando.
„Freilich, es ist ein Key …“, gab Ben zu. „Aber bestimmt nicht der, den wir suchen.“
„Was macht dich da so sicher?“
„Das Gesetz der Wahrscheinlichkeit. Einen solchen Zufall gibt es nicht.“
„Dann ist es eben kein Zufall“, beharrte Sando und nahm Ben die Kette wieder ab.
Während er den schimmernden Ring in dem Goldnetz unverwandt betrachtete, fiepte Bens Telefon.
„Denise! Ich hab sie ganz vergessen!“
Ben holte das Telefon hervor und entfernte sich einige Schritte. Gleichzeitig kündigte Achmed an: „Ich bringe Agila nach jetzt Hause. Es war genug für sie.“
Das Paar setzte sich in Bewegung.
„Bitte, einen Moment noch!“
Sando war mit einem Satz bei ihnen, zeigte Agila die Kette.
„Sie gehört Ihnen. Woher haben Sie sie?“
Müde blickte sie Sando an. „Lass mich, Junge, es ist doch nur billiger Modeschmuck …“
Sie wandte sich ab und lief weiter, behutsam geführt von Achmed. Doch Sando ließ nicht locker. Während Ben telefonierend zurückblieb, hielt er Agila im Gehen die
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